Brüssels frivole Politik der EU-Erweiterungen


Rumänien: Reif für die EU, nicht aber für Schengen?

 

Von Peter Wassertheurer

Neuerlich wird der europäischen Öffentlichkeit eindrucksvoll vor Augen geführt, wie wenig die Kommission der Europäischen Union (EU) beim Beitritt Rumäniens und Bulgariens 2007 Verantwortung zeigte. Da wurden Alibi-Gutachten in Form von Kommissionsberichten aus dem Boden gestampft, die beiden Ländern ihre EU-Tauglichkeit bescheinigten, obwohl der politische Alltag in Bukarest und Sofia von einer gänzlich anderen Realität dominiert wird. Man muss keineswegs Studien zu beiden Staaten strapazieren, es genügt ein kritischer Blick auf Rumäniens Erscheinungsbild, um diese Einschätzung zu teilen. Inzwischen ist selbst in Brüssel die Euphorie von 2007 entschwunden und wurde von einem skeptischen Realismus gefolgt, der notwendig ist, um neuerlich Fehler in der Beurteilung Rumäniens zu vermeiden. Schließlich wurde in der Beurteilung der rumänischen oder bulgarischen Beitrittsreife mehr mit psychologischen Verdrängungsmechanismen als mit den altbewährten Instrumentarien des politischen Hausverstandes gearbeitet. Zwar sollte man die Lernfähigkeit Brüssels nicht völlig in Abrede stellen, aber mehr Mut zur Eigenkritik wäre unter der Devise: „Fehler eingestehen und korrigieren“, von Vorteil.

Die Möglichkeit dazu besteht durchaus. Rumänien möchte unbedingt dem Schengenabkommen beitreten, stößt damit aber auf deutschen Widerstand. Prinzipiell ist die Idee, in einem Wirtschaftsraum Grenzkontrollen und Zollbarrieren abzuschaffen, durchaus sinnvoll. Wer sich noch an die Situation vor der großen europäischen Wenderevolution von 1989/90 erinnert, kann dem nur zustimmen, weil sich kaum jemand die kilometerlangen Schlangen und die stundenlangen Wartezeiten vor den Grenzbalken, die Präpotenz und Arroganz rumänischer, tschechischer oder ungarischer Grenzbeamter zurückwünschen möchte. Wer an die freie Marktwirtschaft glaubt, muss ihr die Freiheit auf der Straße gönnen, da Grenzen Stillstand und eine nicht notwendige Vergeudung menschlicher Ressourcen bedeuten. Dort jedoch, wo der freie Grenzverkehr die Kriminalität fördert, Verbrecherbanden Tür und Tor offen stehen, eine kriminelle Schattenwirtschaft im Grenzraum floriert und der Schmuggel für den legalen Handel zunehmend existenzbedrohende Ausmaße annimmt, muss eingeschritten werden. Und das scheint momentan der Fall zu sein, wenn Deutschlands Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich gegenüber dem Spiegel erklärt, dass es bei Rumänien und anderen EU-Staaten „nach wie vor in einigen Bereichen, insbesondere was auch die Funktionsfähigkeit der Justiz angeht“, eklatante „Schwachstellen“ gibt, „die uns nicht in die Lage versetzen, zu sagen: weg mit den Grenzkontrollen.“

Solche Warnrufe verwundern, denn bislang wurde eine derartige Vorsichtsmaßnahme mit linken Attributparolen wie „Menschenhetze“, „Panikmache“ oder „kognitiver Alltagsrassismus“ abgestraft – vor allem dann, wenn sie hierzulande wegen der importierten Bandenkriminalität und der unkontrollierten Armutszuwanderung von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) eingefordert wurde. Was hat aber dieses Veto gegen einen rumänischen Schengen-Beitritt in der deutschen Regierung verursacht? Das Spiegel-Interview Friedrichs gibt hinreichend Antwort auf diese Frage, weil es nicht nur die rumänische Schengenthematik problematisiert, sondern auch ein düsteres Licht auf den rumänischen Justizapparat und auf die lasche Korruptionsbekämpfung im Land wirft.

Ziel der Einwanderung: Mitteleuropas Sozialsysteme

Friedrich wirft Bukarest vor, nicht entschieden genug gegen Korruption vorzugehen. Wörtlich meint der deutsche Bundesminister dazu: „Wer sich durch Bestechung sein Visum beschafft, könnte – ohne weitere Kontrollen – bis nach Deutschland reisen.“ Seit geraumer Zeit schon hält ein Strom von Roma aus Rumänien und Bulgarien an, der vornehmlich in Deutschland endet und einen noch nicht absehbaren sozialen Konfliktstoff in sich birgt. Friedrich meinte, dieses Gefahrenpotenzial richtig einzuschätzen. Völlig unverblümt in der Sprache eines verantwortlichen Politikers spricht er diesen Missstand auch an: „Das Recht auf Freizügigkeit bedeutet, dass jeder EU-Bürger sich in jedem Mitgliedsland aufhalten kann, wenn er dort arbeitet oder studiert. Jeder EU-Bürger, der diese Voraussetzungen erfüllt, ist bei uns willkommen. Wer aber nur kommt, um Sozialleistungen zu kassieren, und das Freizügigkeitsrecht missbraucht, der muss wirksam davon abgehalten werden.“

An dieser Stelle fühlt man sich an die EU-Schlammschlacht gegen den ehemaligen französischen Staatspräsidenten Nikolas Sarkozy erinnert, nachdem er die Räumung illegaler Roma-Siedlungen in Frankreich und den Abschub jener angeordnet hatte, die über keinen rechtlichen Aufenthaltsstatus verfügten. Dass jetzt ein sozialistischer Präsident in Paris mit ähnlich drastischen Methoden gegen illegale Roma-Camps verfährt, wird stillschweigend und ohne das bekannte gutmenschliche Trommelfeuer zur Kenntnis genommen. Ebenso findet in Friedrichs Worten und im französischen Vorgehen der illegale Sozialmissbrauch endlich einmal eine Erwähnung, zumal nicht einzusehen ist, warum ein rumänischer oder bulgarischer Staatsbürger aus deutschen Kassen Sozialleistungen beanspruchen soll dürfen, in die er nie einen einzigen Cent einbezahlt hat. Aus dem Munde von Friedrich klingt das so: „Die EU-Kommission hat dafür zu sorgen, dass Rumänien und Bulgarien die ihnen zur Verfügung gestellten Mittel auch für die Menschen tatsächlich verwenden. Darüber hinaus will ich die Sanktionen für versuchten Sozialbetrug verschärfen. Das könnte zum Beispiel eine Wiedereinreisesperre für diejenigen sein, die wir zurückgeschickt haben. Dafür will ich in Brüssel werben. Es kann nicht sein, dass sich irgendwann einmal aus ganz Europa die Leute auf den Weg machen nach dem Motto: In Deutschland gibt es die höchsten Sozialleistungen.“

Der politische Balkan lässt grüßen

Die wohltuende Radikalität solcher Worte macht aber dennoch stutzig. Da wird einem Land die Schengen-Reife aberkannt, dem sechs Jahre zuvor die EU-Mitgliedschaft attestiert worden war. Oder, was freilich zu befürchten bleibt, reagiert das Kabinett-Merkel im Superwahljahr 2013 nervös auf verlorene Landtagswahlen und schlechte Umfragewerte?

War also Bukarest 2007 schon reif für den Beitritt zur EU? Mitnichten! Die Politik Rumäniens hatte erst vor einem Jahr ein Schauspiel ihrer EU-Unreife dargeboten. Die Politgroteske zwischen Regierungschef und Staatspräsidenten war, und das ist die Kehrseite dieses Skandals, gepaart mit einer fragwürdigen Laissez-faire-Politik der EU, deren objektive Urteilskraft dort gegen Null marschiert, wo es die eigene Ideologie trifft. Da versuchte ein sozialdemokratischer Ministerpräsident einen Staatspräsidenten unter Missachtung der Landesverfassung aus dem Stuhl zu kippen, ohne dass es zur Androhung von Sanktionen kommt. Zwar wurde Victor Ponta nach Brüssel zitiert, wo er von seinen linken Gesinnungsfreunden mit Samthandschuhen zur Räson gemahnt wurde, verändert hat sich aber im Verhalten der Regierung kaum etwas. Ponta wurde wiedergewählt und setzt seinen autoritären Führungsstil mit Hang zur Vetternwirtschaft fort, der sich mit den EU-Standards oft nur mit verschlossenen Augen in Einklang bringen lässt.

Das Land versumpft in seinem eigenen Unvermögen, die kommunistische Vergangenheit mit allen despotischen Traditionen hinter sich zu lassen, um den demokratischen Strukturwandel zumindest bis an jenen Punkt zu bringen, wo eine Rückkehr (point of no return) in das alte korrupte System nicht mehr möglich ist. Rumänien ist in seiner Entwicklung zur modernen Demokratie seit 1990 auf halbem Weg stehen geblieben und wurde von der EU in Stich gelassen. Anzeichen für eine Renaissance des liberal-demokratischen Transformationsprozesses, der unter schwierigsten Bedingungen in den 1990er Jahren einsetzte, sind nicht in Sicht. Es ist auch nicht zu erwarten, dass die politischen Eliten dazu in der Lage sind, da sich das Land innenpolitisch auf brüchigem Terrain befindet und in der Außenpolitik zunehmend isoliert wird. Für einen nachhaltigen Wandel fehlen die Reformkräfte im Inneren und effiziente Kontrollinstrumentarien auf multilateraler, europäischer Ebene, in deren Sog neue Impulse frei gesetzt werden.

So gesehen müsste man Rumänien neu erfinden und zurück an den Start rufen. Die eigene kritische Masse aber hat vielfach schon resigniert, ist an der Unreformierbarkeit des Systems zerbrochen und hat unter dem Eindruck der allgemeinen politischen Apathie im Land Rumänien in Richtung Westen verlassen. Dieses Schicksal erlebt aber derzeit nicht nur Rumänien.

Südeuropas Jugend wandert Richtung Norden

Auch Griechenland, Portugal oder Bulgarien schaffen es immer weniger, die eigene Jugend im Land zu halten, weil der wirtschaftliche Druck kaum Platz für positive Zukunftsperspektiven offen lässt. Es ist nicht länger zu bestreiten, dass wir derzeit in der EU eine innere Migrationswelle aus dem Süden und Südosteuropa erleben, deren Folgen für die betroffenen Länder heute noch gar nicht richtig eingeschätzt werden können. Nur wird Rumänien, um bei diesem Beispiel zu bleiben, einmal das akademisch ausgebildete Personal fehlen. Hier sind Reformen gefragt, um ein Steuerinstrumentarium zu entwickeln, das diesem Trend aufhält. Geld, das aus dem EU-Budget zur Erledigung von Bildungsaufgaben nach Bukarest transferiert wird, hat dort zweckgebunden verwendet zu werden, um der einheimischen Jugend eine Perspektive in der Heimat zu geben. Alles andere ist ein Betrug an den EU-Nettozahlern! Reiche EU-Länder wie Deutschland, Frankreich oder Österreich werden diesem permanenten Migrationsdruck, der derzeit schon auf den urbanen Räumen lastet, nicht Stand halten können. Außerdem wird das etablierte politische Establishment zunehmend an Glaubwürdigkeit verlieren und riskiert, dass der radikalisierte Protest im rechten und linken Ideologiespektrum anwachsen wird. Wer die vielen Stimmen aus dem Volk nicht hören will, macht sich die Masse zum Feind. Wer angesichts zehntausender schlecht bis kaum ausgebildeter bulgarischer Roma, die in jüngster Vergangenheit nach Deutschland gezogen sind, blauäugig von „Mehr-Integration“ spricht, handelt absolut verantwortungslos und schwört Verhältnisse herbei, wie wir sie aus den Pariser Armenvierteln kennen. Friedrich hat dazu im Spiegel-Interview eine unmissverständliche Aussage getroffen: „Die EU-Kommission wird lernen müssen, die Sichtweisen und Befindlichkeiten der Menschen in den Mitgliedstaaten stärker zu beachten. Die Grundhaltung, da drücken wir jetzt mal ein Auge zu, Hauptsache die EU wächst immer weiter, ist für diejenigen, die sich gegenüber den Bürgern zu verantworten haben, nicht länger akzeptabel.“ Einen solchen Satz kann man nur unterstreichen, nur sind es die europäischen Nationalstaaten selbst, die man in die Pflicht der Verantwortung ihren Bürgern gegenüber nehmen muss. Wer hindert die deutsche Regierung in Berlin daran, Rückgrat zu zeigen und in Brüssel mit der gleichen konsequenten Haltung aufzutreten? Die Sicherheit und der Wohlstand in Europa dürfen keiner blindwütigen Erweiterungsmanie geopfert werden. Armutsmigration, Elendsviertel, Menschenhandel, steigende Kriminalität und Sozialmissbrauch erfüllen keineswegs die Erwartungen seit 1989/90. Das deutsche Veto zum Schengen-Abkommen mit Rumänien und Bulgarien ist eine notwendige Antwort auf eine Entwicklung, die die Union als innereuropäisches Integrationsprojekt zu zerreißen droht. Es braucht auf nationaler und multilateraler Ebene rigide Kontroll- und Steuermechanismen, um zu garantieren, dass erstens nationalpolitische Interessen gewahrt bleiben, zweitens Transformationsprozesse zu mehr Demokratie, mehr Marktwirtschaft und mehr Rechtstaatlichkeit in Problemmitgliedsländern wie Rumänien oder Bulgarien wieder in Gang gesetzt werden und drittens es zu keiner neuen Erweiterungsrunde kommt, ehe die Union nicht ihre aktuellen Krisen bewältigt hat. Immerhin sitzen mit Kroatien, Serbien und Montenegro Netto-Nehmerländer im Vorzimmer der EU.

Schluss mit dem Erweiterungsgehabe!

Die EU und ihre Institutionen müssen in ihrer Beurteilungskompetenz kritischer werden. So bleibt nach wie vor die Frage, wer sich in der Einschätzung der rumänischen Leistungsfähigkeit hat derart täuschen lassen, unbeantwortet im Raum stehen. Waren es die ausländischen Investoren, die das Land 2008 auf ein Wirtschaftswachstum von 7,1 Prozent stemmten, oder waren es die Rumänen selbst, die in Wirklichkeit mit schön gefärbten Zahlen eine Realität vorspiegelten, die es nur auf dem Papier gab? Der politischen Misere eilte der wirtschaftliche Kollaps nach einem ähnlichen Ursachenprofil voraus. Man vertraute auf die regulative Kraft des freien Wettbewerbs und meinte, dass allein die Einbindung politischer Mandatare in die Institutionen der EU ausreiche, um die erfolgreiche Adaptation von EU-Standards einzuleiten.

Das veritable Wirtschaftsdesaster, in dem sich Rumänien seit Jahren befindet, zeigt diese Fehler auf. Der große Profiteur bis zum Einsetzen der Wirtschaftskrise war zunächst der Immobiliensektor, was zu einer wahren Explosion der Immobilienpreise führte. Es waren in erster Linie Sektoren, die stark exportorientiert waren und die große internationale Investitionen erfahren hatten, also neben der Immobilienbranche der Kfz-Sektor, der Bausektor, die Stahl- sowie die IT-Branche. Anstatt nachhaltige Investitionen zu schaffen, wurde nach dem Platzen der Immobilienblase und im Sog der Finanz- und Wirtschaftskrise das ausländische Kapital aus Rumänien abgezogen, zumal der Aufschwung durch Fremdwährungskredite finanziert wurde.

Rumänien steckt in einer tiefen Rezession

Das hat Bukarest in zweifacher Weise getroffen: Einerseits stiegen die Zinsen der Fremdwährungskredite, anderseits erlebte die einheimische Währung einen enormen Werteverlust. Seit 2010 steckt Rumänien in einer Rezession, die neue Kredite auf dem internationalen Kapitalmarkt teuer macht und ausländische Investoren abschreckt, weil die Zeit des „schnelles Geldes“ vorbei ist. Die rumänischen Banken sitzen auf faulen Krediten und die einheimischen Unternehmen mit ausländischer Beteiligung setzen überall den Rotstift an, um die Krise auf Sparflammenniveau auszusitzen. Für die Österreicher explodierten im Geschäftsjahr 2012 die Verluste in Rumänien von 22,5 auf 294,3 Millionen Euro, wobei die Risikovorsorgen von 499 auf 737,2 Millionen Euro stiegen. Verluste wie die der Erste Group resultieren aus faulen Krediten ihrer rumänischer Partnerunternehmen, die man zu weit überhöhten Preisen erworben hatte. Im Fall des Kaufs der rumänischen BCR (Banca Comerciala Romana) hatten die Österreicher fünf Mal mehr als den realen Buchwert bezahlt!

Die Erweiterung gab es zu keinem Zeitpunkt umsonst und ohne Risiko. Das war bei den früheren Erweiterungsrunden so und wird auch künftig so bleiben. Derzeit nähert man sich aber einem Punkt an, der unter der Last bankrotter Mitgliedsstaaten die Grenzen der Zumutung und Belastbarkeit erreicht. Längst schon sind es nicht mehr nur die neuen Mitglieder, vielmehr katapultieren Griechenland, Portugal, Spanien und Italien die EU in Richtung einer Schuldenunion, deren wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich zunehmend wie das Eis an den Polkappen schmilzt. Und die Lage der EU ist eigentlich noch schlimmer! Nimmt man nämlich die Maastrichter Budgetvorgaben als Maßstab, dann erfüllt überhaupt kein Mitgliedsstaat mehr die geforderten Kriterien. Dort, wo die EU-Institutionen versagen, muss der Nationalstaat sein eigenes Regelwerk hochfahren, um sich selbst und seine Bürger vor Fehlentwicklungen zu schützen. Das deutsche Schengen-Veto sollte als Selbstverständlichkeit gelten und eine verantwortungslose, bürgerferne EU in ihre Grenzen weisen.

Bearbeitungsstand: Montag, 25. März 2013

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