Eine neue Großkoalition mit eingebautem Sprengsatz


Von Spectator

Seit dem Unfalltod Jörg Haiders war klar, dass realistischer Weise nichts mehr die von Werner Faymann (SPÖ) und Josef Pröll (ÖVP) von allem Anfang an ins Auge gefasste neuerliche Großkoalition aufhalten werde. Alle Spekulationen mit den Farben Blau, Grün und Orange in unterschiedlichen Kombinationen mit Schwarz oder Rot bewegten sich von vornherein im Grenzbereich von Machtlogik. Sie waren auch insofern naiv, als die kreuz und quer verlaufenden parteipolitischen Frontlinien allen maßgeblich handelnden Personen das Gefühl von unkalkulierbaren Risiken vermittelten. Dazu kamen einseitige Festlegungen da und Ausgrenzungen dort. Nur eine souverän mitspielende starke Persönlichkeit, wie eben Jörg Haider, hätte in diesem von Unsicherheiten durchwirkten Farbenspiel vielleicht (!) den Zug in Richtung neuer Großkoalition einbremsen können.

Sowohl Faymann wie sein Gegenüber Pröll besitzen durch ihren Werdegang ein ausgeprägtes Naheverhältnis zur jeweils passenden Seite der Sozialpartnerschaft. Und dort gehört die möglichst von keiner dritten Seite „gestörte“ Zusammenarbeit von Rot und Schwarz zum festen Bestandteil der politischen Weltanschauung. Die Stimmungslage in der Bevölkerung und auch der demokratisch ermittelte Wählerwille erwecken dort nur Unbehagen, wenn sich dadurch andere Konstellationen herausbilden, als sie im Selbstverständnis der Sozialpartner fixiert sind. So wussten sich beide Spitzenverhandler starker Verbündeter sicher.

Faymann untermauerte diese seine Position noch, indem er voll und ganz den ÖGB ins Boot holte. Pröll wiederum konnte nur im Wissen um seinen starken Rückhalt in der Landwirtschafts- und Wirtschaftskammer die kritische Auseinandersetzung abwiegeln, die innerhalb der ÖVP als Partei rund um die Frage: Regierungsbeteiligung oder doch lieber Gang in die Opposition, aufgebrochen war. Dazu gehörte auch sein taktisches Zwischenspiel mit anscheinend „harten“ 10 Fragen an Faymann, die dieser geradezu blitzartig beantwortete, in der Sache ziemlich „weich“, aber für Pröll nach dessen eigener Aussage „zufrieden stellend“. Ein Schelm, wer sich nichts dabei denkt. In der neuen Regierung sind die Sozialpartner durch den Minister für Soziales Hundstorfer (ÖGB) und den Wirtschaftsminister Mitterlehner (WK) auch direkt verankert.

Ein Programm des kleinsten gemeinsamen Nenners

Die schließlich herausgekommene Koalitionsvereinbarung ist zwar mit rund 260 Seiten ein umfangreiches Schriftstück, vermeidet aber eindeutige Festlegungen in den großen Problemfeldern, die für die Zukunft Österreichs wichtig sind. Im Vordergrund stehen ganz pragmatische Maßnahmen gegen die beginnende Wirtschaftsflaute und zur Eindämmung der Auswirkungen der Finanzmarktkrise. Dem soll auch das Vorziehen der Steurreform dienen. Soweit so gut, jedenfalls im Hinblick auf die Stoßrichtung. Die Einzelheiten aller dieser Vorhaben werden uns die nächsten Monate hindurch beschäftigen. Offen bleibt die Sanierung des Gesundheitswesens; offen bleibt die Verwaltungsreform, sprich: die dringend notwendige Einsparung von Milliarden an Steuergeldern für überflüssige Bürokratie; offen bleibt die Finanzierung der Universitäten. Damit sind nur die wichtigsten Bereiche als Beispiele angesprochen. Alle Vorhaben und alle offenen Punkte münden in die eine große Frage: Was kann der Staatshaushalt verkraften und wie soll bzw. wird er sich in den nächsten Jahren entwickeln? Auch diese Frage wird zu einem Dauerbrenner in den Auseinandersetzungen werden.

EU-Volksabstimmungen als Sprengsatz

Nun aber zum eigentlichen Knackpunkt der Koalitionsvereinbarung. Die Sozialdemokraten Gusenbauer und Faymann hatten sich im Sommer dieses Jahres überraschend auf die Abhaltung von Volksabstimmungen bei Änderungen in den EU-Verträgen festgelegt. Die ÖVP dagegen lehnte eine solche Vorgangsweise ab. Der Kompromiss, den die frisch gebackene Großkoalition jetzt unterschrieb, liest sich folgendermaßen: „Hinsichtlich nationaler Volksabstimmungen verpflichten sich beide Koalitionsparteien, einen auf die Durchführung einer Volksabstimmung gerichteten parlamentarischen Antrag bzw. ein solches Verlangen von Mitgliedern des Nationalrates oder Bundesrates (Art. 43 und 44 BVG) nicht gegen den Willen der jeweils anderen Koalitionspartei zu stellen oder zu unterstützen.“

Auf den ersten Blick erscheint dies eindeutig geregelt. Fragt man jedoch, was geschieht, wenn sich eine der Parteien nicht an diese Bestimmung hält, dann findet sich als Antwort: Neuwahlen! Mit dieser eindeutigen Festlegung erhält aber die ganze Vereinbarung hinsichtlich des Umganges mit Volksabstimmungen den Charakter eines eingebauten Sprengsatzes. Denn wenn z. B. Faymann einer Volksabstimmung zu einer EU-Vertragsänderung, welche – hier ebenfalls hypothetisch angenommen – von der Opposition, sagen wir mal von der FPÖ, beantragt wird, zustimmt, während die ÖVP dagegen ist, dann beendet Faymann damit die Koalition und kann in Neuwahlen gehen. Dass Faymann bei seiner Sommer-Erklärung, bei EU-Vertragsänderungen unbedingt für Volksabstimmungen eintreten zu wollen, bleibt, bekräftigte er in einem ORF-Interview am 24. November 2008 ausdrücklich. Der nüchterne Beobachter gewann dabei sogar den Eindruck, dass aus Sicht der SPÖ dieser Punkt der Koalitionsvereinbarung eine Soll-Bruchstelle ist. Dabei hat es Faymann je nach Lage der Dinge zu dem Zeitpunkt, wo diese Frage aktuell wird, in der Hand, ob er den Knopf zur Sprengung der Großkoalition drückt oder nicht. Die ÖVP steht da mit dem Rücken an der Wand.

In der ÖVP gärt es

Offenbar hat die bisherige Außenministerin Ursula Plassnik diese Falle erkannt. Ihr Rücktritt mit dem mehrfach in unterschiedlichen Formulierungen erhobenen Vorwurf, hier habe die ÖVP die eigene Haltung zur EU nicht entschieden genug durchgesetzt, zwingt zu diesem Schluss. Die konsequente Haltung Frau Plassniks verdient Respekt. Sie hat in einer Sache, wo es um ihre ehrliche Überzeugung geht, Rückgrat bewiesen, anstatt sich um den Preis, künftig nur ein Feigenblatt zu sein, an ihren Ministerposten zu klammern. Im Übrigen sei hier festgehalten, dass sie für Österreich eine sehr gute Außenministerin war.

Ihrem Nachfolger im Amt Michael Spindelegger hat sie die Latte hoch gelegt.
Vermutlich wird die neue Regierung in der Anfangszeit einträchtig arbeiten, denn die Partner Faymann und Pröll stehen nach dem jämmerlichen Ausgang der voraus gegangenen Großkoalition und deren Abstrafung durch den Wähler unter besonderem Erfolgszwang. Dabei steht Josef Pröll unter noch höherem Druck, weil er den Skeptikern in der eigenen Partei, der innerlich zerstrittenen ÖVP, beweisen muss, dass es parteipolitisch richtig war, sich unter den Führungsanspruch Werner Faymanns derartig zu beugen. Das wirkliche machtpolitische Spiel beginnt erst.

Bearbeitungsstand: Freitag, 14. Jänner 2011

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