Von Bertram Schurian
Beginn April 2009 wurde eine interessante Statistik veröffentlicht, die Zweierlei zeigt: Erstens dass trotz größerer Verwerfungen in der US-amerikanischen Automobilindustrie im 1. Quartal 2009 2,2 Millionen Fahrzeuge in Amerika verkauft wurden, und zweitens dass die chinesische Automobilindustrie in China in derselben Periode rund 2,5 Millionen Fahrzeuge aus eigener Produktion verkauft hat. In einer für die Wirtschaft sehr wichtigen Branche hat China die Vereinigten Staten überholt. Das riesige Konjunkturprogramm Chinas zeigt also Wirkung. Die Chinesen selbst meinen, dass die Verkäufe in 2009 von Fahrzeugen in China die Marke von 10 Millionen übertreffen werden und die Vereinigten Staten als Weltmarktführer im Automobilmarkt ablösen werden.
Während die Vereinigten Staten in zwei kostspieligen Kriegen ihre Ressourcen verschwendeten, haben die Chinesen still und leise riesige Überschüsse (US-$ 1,25 Billionen) in ihrer Handelsbilanz erreicht, zügig ihre Industrien aufgebaut und die wichtige Rohstoffbasis für diese Industrieen erfolgreich erweitert und gesichert. Außerdem hat der Chef der chinesischen Zentralbank in einem Artikel vorgeschlagen, vom US-Dollar als Weltwährung abzugehen und auf einen alten Vorschlag von John Maynard Keynes, den er 1944 in Bretton Woods machte, einzugehen, nämlich den „Bancor“ einzuführen. Sic transit gloria mundi! Wie hat es soweit kommen können?
Als im Jahre 1989 die Berliner Mauer fiel und die Sowjet-Union an ihren eigenen Unzulänglichkeiten zerbrach und sang- und klanglos zerbröselte, wähnten sich die Vereinigten Staaten als Sieger des Kalten Krieges am Höhepunkt ihrer Macht. Francis Fukuyama sprach vom Ende der Geschichte im Hegelschen Sinne und davon, dass sich die Prinzipien des Liberalismus in Form von Demokratie und Martkwirtschaft endgültig überall durchsetzen werden. Wie sich jetzt herausstellt, ist an dieser Sicht der Dinge einiges falsch. Hochmut und Arroganz ergriffen die politische Elite der Vereinigten Staaten.
Am 2. April 2009 wurde ein Gipfeltreffen der 20 wichtigsten Industrie-und Entwicklungsländer der Welt, der sogenannten G-20, in London mit dem Ziel abgehalten, gemeinsame Anstrengungen zu koordinieren, damit eine Weltwirtschaftkrise wie die jetzige sich nicht noch einmal wiederhole. Erhöhte und striktere Kontrolle aller Finanzinstitute wurde gefordert, gekoppelt an eine Kontrolle zur Neuzulassung von Finanzprodukten. Zudem wurden Vorschläge gemacht, Steueroasen auszutrocknen und Länder, die sich nicht den OECD-Richtlinien hinsichtlich Steuern unterordnen, auf eine schwarze Liste zu setzen. Unter anderem sprach auch der US-amerikanische Präsident zu diesem Forum. Bemerkenswert an seiner Rede war, dass er die Verantwortung für die gegenwärtige Wirtschaftskrise auf sich nahm und sich hierfür quasi entschuldigte.
Tatsächlich liegt die tiefere Ursache der gegenwärtigen Krise, neben vielen anderen Entwicklungen auch, in der zweiten Periode der Amtszeit von Präsident Clinton, dem es ein großes Anliegen war, dass jeder Amerikaner ( sogar „low and moderate income people“ in der Definition der Clinton -Administration ) ein Eigenheim sein eigen nennen könne. Die Zentralbank der Vereinigten Staten, der Federal Reserve Board unter der Leitung von Alan Greenspan, ermöglichte es durch eine Politik des leichten Geldes, den Zinssatz viele Jahre auf einem sehr niedrigen Niveau zu halten, und die erfindungsreichen Investmentbanken besorgten den Rest. Und nicht nur diese, sondern auch gewöhnliche Hypothekenberater, wie jene in Orange County, Kalifornien, die geradezu darauf vorbereitet wurden, Hypotheknehmer über die wahren Konditionen ihrer Hypotheken zu täuschen. Kein Wunder also, wenn Rene Zeyer im Manager-Magazin zur Schlussfolgerung kommt, dass es sich hier um den größten Bankraub aller Zeiten handle.
Schon 1999 erschien in der New York Times ein warnender Artikel von Steven A. Holmes, der darauf hinwies, wenn die Bedingungen für den Erwerb von Hypotheken bei den zwei großen US-amerikanischen Hypothekenbanken, Federal National Mortgage Association und Federal Home Loan Mortgage Corporation, deren Risiken vom amerikanischen Staat garantiert werden, gelockert würden, wäre früher oder später ein Bankrott dieser Institute zu erwarten bzw. eine staatliche Rettungsaktion für diese. Im Artikel werden genau die Argumente genannt, die dann im Jahre 2008 dazu führten, dass der amerikanische Finanzminister beide Institute unter Staatsaufsicht stellen musste.
Inzwischen haben der Federal Reserve Board und die Europäische Zentralbank für ca. US-$ 2,5 Billionen Liquidität in die Märkte gepumpt und für ca. US-$ 1,5 Billionen an direkten Kapitalinjektionen für die Banken bereitgestellt; zusammen also US-$ 4 Billionen (also „10 hoch 12“ für die Mathematiker unter uns) an Hilfsmaßnahmen!
Interessierte Fachkundige auf diesem Gebiet wussten bzw. hätten wissen können, was sich hier abspielte, und das weniger informierte Publikum wurde bewusst hinters Licht geführt. Es dauerte dann noch ungefähr acht Jahre, bis sich die Anzeichen mehrten, dass auf dem US-amerikanischen Hypothekenmarkt etwas grundsätzlich schief gelaufen war.
Roger Altmann kommt in seinem Artikel „The great crash 2008“ in Foreign Affairs zu dem Schluss, dass es sich in dieser Sache um den „greatest regulatory failure in modern history“ handle und die staatliche Bankenaufsicht der USA total versagt habe, dass die SEC (Security and Exchange Commission) ihrer Aufgabe nicht gewachsen war und dass die Arbeit der Kredit-Rating-Gesellschaften überhaupt nicht kontrolliert wurde.
Die neue US-amerikanische Regierung unter Präsident Obama hat eine titanenhafte Aufgabe zu lösen und dafür zu sorgen, dass das verloren gegangene Vertrauen in ihre eigenen Institutionen wieder hergestellt wird.
Die Folgen dieser gewaltigen Schieflage – mit Fug und Recht kann man von einem gewaltigen Finanzbetrug sprechen – tragen durch die weltweite Verflechtung der Wirtschaft und der Banken ausnahmslos wir alle. Der Chef der Deutschen Bank Ackermann hat einen interessanten Reformvorschlag gemacht, der besagt, dass Banken niemals mehr die Sicherheit haben dürfen, im Krisenfalle von der Zentralbank Hilfe zu erhalten: „Banken sollten pleite gehen dürfen. Niemand sollte sicher sein, dass er immer gerettet wird“ – So das Zitat in der „Financial Times“.
Im vergangen halben Jahr haben die europäischen Industriestaaten zusammen mit den USA, China, Japan und Russland Programme zur Belebung der Konjunktur in Höhe von rund Euro 1,5 Billionen aufgelegt. Ob diese Programme die von ihnen erhoffte Wirkung auch haben werden, muss sich erst zeigen. Anzeichen für eine Wirksamkeit gibt es bereits. Trotz dieser Maßnahmen erwartet die OECD, dass der Welthandel im Jahre 2009 drastisch zurückgehen und sich erst wieder im Laufe des Jahres 2010 erholen wird.
Das Bruttosozialprodukt der USA wird um ca. 4 % gegenüber 2008 sinken, in Europa im Schnitt um 4.3 %, in Japan um 8.7 %. Schwer getroffen wird auch Deutschland, wo das BSP um 5.4 % oder mehr sinken wird. Auch im Jahre 2010 wird noch mit einem leichten Rückgang des BSP in allen genannten Ländern gerechnet. Die Schätzungen der OECD sind mit einiger Vorsicht zu genießen, da die jetzige Situation der Weltwirtschaft einzigartig ist und die Politik wie die Wissenschaft diesem Phänomen ziemlich hilflos gegenüber stehen.
Die Erwartung in den kommenden zwei Jahren für Preissteigerungen sind niedrig. Eher wird ein Sinken der Preise mit all seinen negativen Folgen befürchtet. Japan hatte in den neunziger Jahren mit diesem Phänomen – sinkende Preise bei stagnierendem Wirtschaftswachstum – zu kämpfen und hat diese Krise bis heute noch nicht restlos überwunden.
Obwohl all diejenigen, die ihre Ersparnisse in Aktien und anderen risikobehafteten Anlagen investiert haben, durch die Ereignisse der vergangenen drei Jahre praktisch um die Hälfte ärmer geworden sind – darunter sind neben reichen Personen auch viele Betriebspensions- und Investmentfonds sowie Kapitalanlagefonds in aufstrebenden Firmen und Ländern –, befinden sich diejenigen, die nur von ihrer Hände Arbeit leben müssen, in wirklich prekärem Zustand. Sie werden in ihrer Existenz getroffen. So werden in Spanien Prämien gezahlt, damit die vielen Saisonkräfte auf den spanischen Plantagen wieder nach Afrika zurückkehren! Es findet ein Konkurrenzkampf um die spärlicher werdenden Arbeitsplätze zwischen afrikanischen Arbeitern und Arbeitswilligen aus Rumänien statt. Im reichen Singapur werden Fachleute und Hilfskräfte aus Bangla-Desch, Indonesien, Burma und Malaysien wieder in ihre Heimatländer zurück geschickt. Auch in Russland auf Kontrakt arbeitende Gastarbeiter aus den ehemaligen Ländern der SowjetUnion werden dorthin abgeschoben. Die tschechische Republik schiebt mit sanfter Gewalt ihrer Gastarbeiter aus Vietnam ab. Auch in China wandern rund 200 Millionen Menschen als Tagelöhner umher, nachdem Tausende von Firmen im Süden Chinas Bankrott angemeldet haben.
Und in Deutschland wird die Frage laut, ob ein Arbeitnehmer in einer Opel Fabrik Unterstützung verdient und ein Arbeitnehmer in einer Autofabrik in der Slowakei nicht. Soviel über Solidarität in der Europäischen Gemeinschaft.
Diese Wirtschaftskrise stellt die politisch Handelnden vor ungeahnte und schlimme Dilemmas.
Dkfm. Bertram Schurian war internationaler Top-Manager und lebt jetzt in Kärnten.