Von Gerulf Stix
Eigentlich hätte in Österreich so etwas wie Jubel ausbrechen müssen, ginge es wirklich allen darum, „mehr Frauen in Führungspositionen“ zu bringen, wie das die medialen Chorgesänge so oder ähnlich ständig hinaustönen. Denn was entspräche wohl mehr dieser Parole, als dass eine Partei sogar für das höchste Amt im Staate eine Frau nominiert? Doch weit gefehlt, von Jubel keine Spur. Ganz im Gegensatz zu den theoretischen Erwartungen, waren es im Falle Rosenkranz zuerst und überwiegend Frauen, die sich in den Medien massiv und zum Teil ausgesprochen gehässig gegen die freiheitliche Kandidatin äußerten. Diese erste Welle anti-weiblicher Weiblichkeit – in den Zeitungen wie im ORF – war sogar für den naiven Beobachter auffällig. Für den Kenner der Szene freilich bestätigte sich nur eine längst gemachte Erfahrung: Frauen-Power ist nur solange erwünscht, als es dabei um rot-grüne-emanzipatorische Positionierungen geht. Zu dieser „gesellschaftspolitischen Korrektheit“ gesellt sich dann rasch eine total einseitig interpretierte „antifaschistische Korrektheit“. Einseitig deswegen, weil als faschismusverdächtig nur alles, was nicht „links“ ist, gilt, während der evidente Links-Faschismus (z. B. Stalin, Mao Tse Tung, Rote Armee Fraktion oder Kuba) einfach ausgeblendet wird. Dabei könnten sich, wenn man schon bei diesem genau genommen überholten Schema bleiben will, Links-Demokraten und Rechts-Demokraten rasch auf einen Grundkonsens einigen: Beide lehnen jeden gewaltbereiten oder gar gewalttätigen Extremismus ab, gleichgültig ob er von „rechts“ oder von „links“ kommt.
Das wäre wirklich ein tragfähiger Grundkonsens für die Republik, getragen von wechselseitiger Toleranz.
Aber nach dem herrschenden primitiven Strickmuster, wonach links gut und rechts schlecht sei, wurde die freiheitliche Präsidentschaftskandidatin von oben bis unten angeschüttet. Da spielte es plötzlich auch für vorgebliche Frauenrechtlerinnen keine Rolle mehr, dass es hier um eine tüchtige Frau ging, noch dazu eine menschlich untadelige und im Leben bewährte, die sich da in die hochpolitische Arena wagte. Nein, sie musste gnadenlos herunter gemacht werden. Und dafür musste wieder einmal die NS-Vergangenheit herhalten. War das etwa ihre Vergangenheit? Mitnichten. Barbara Rosenkranz ist 1958 geboren, also volle 13 Jahre nach dem Ende des totalitären NS-Regimes überhaupt erst zur Welt gekommen. Sie wuchs in das demokratisch gewordene Österreich hinein und hat sich in dieser Zweiten Republik als Mensch, als Frau und Mutter sowie erfolgreich auch als demokratische Politikerin hervor getan. Nur ihr Menschenbild entspricht eben nicht dem heute zeitgeistig verordneten „Gender-Mainstreaming“, wie sie das selbst in ihrem Buch „MenschInnen“ darlegt. Aber das ist ihr gutes Recht. Darauf kommen wir noch zurück.
Dass die Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten aus der Position einer oppositionellen Minderheit heraus insgesamt ein politischer Opfergang werden würde, war und ist dieser intelligenten Frau durchaus bewusst. Trotzdem dürfte das unerwartete Ausmaß der sich gleich am Anfang über sie ergießenden Gehässigkeiten ein schockierendes Erlebnis gewesen sein. Eine andere als sie hätte vielleicht das Handtuch geworfen. Nicht so Barbara Rosenkranz. Sie hat sich den perfiden Angriffen gestellt, hat ruhig und mit aller Entschiedenheit reagiert und allein damit schon ihre Qualität als standfeste Politikerin neuerlich bestätigt. Das verdient Respekt.
Aber das ist erst der Anfang des schwierigen Weges. Im Ganzen betrachtet ist es die mit diesem Antreten verbundene Aussichtslosigkeit, die angestrebte Bundespräsidentschaft auch tatsächlich zu erlangen, welche der Kandidatur den Charakter eines Opferganges verleiht. Aus einer Minderheitsposition gegen einen amtierenden Bundespräsidenten anzutreten, der noch dazu wie Heinz Fischer – man mag politisch über ihn denken wie man will – großes Ansehen genießt, ist ein schier aussichtsloses Unterfangen. Trotzdem anzutreten, erfordert einerseits wohlüberlegte politische Gründe seitens der die Kandidatur betreibenden Partei und andererseits ein nicht geringes Maß an Opferbereitschaft bei jener Persönlichkeit, die sich dafür ohne Wenn und Aber zur Verfügung stellt. Beginnen wir bei den politischen Gründen.
Hauptgrund ist das völlige Versagen der ÖVP in der Frage eines eigenen Präsidentschaftskandidaten. Was sollen sich denn die Österreicherinnen und Österreicher denken, wenn ausgerechnet jene Partei, die ansonsten praktisch überall den politischen Führungsanspruch für sich geltend macht, bei der Wahl des Staatsoberhauptes kneift? Dieses Verhalten wird quer durch die Parteienlandschaft von einer großen Mehrheit der Bevölkerung als Feigheit ausgelegt, nüchterner gesagt als Kapitulation vor einer befürchteten Niederlage in einem Wahlgang schon lange vor dessen Beginn. Die Schlaumeier in der ÖVP sehen das natürlich anders, sie betrachten diese Nicht-Kandidatur wahrscheinlich sogar als taktische Meisterleistung: Kein Risiko einer Wahlniederlage, keine Wahlkampfkosten und vielleicht sogar – so wohl die Hoffnung – ein stiller Deal mit dem sozialdemokratischen Bundespräsidenten, dereinst gnädig einen möglichen ÖVP-Bundeskanzler zu installieren.
Aber diese scheinbar plausible Rechnung ist ohne den Wirt oder besser: ohne die Wirte gemacht. Erstens bedeutet es eine Unterschätzung des inneren politischen Gestaltungswillen einer Persönlichkeit vom Schlage Heinz Fischers, wenn man glaubt, ihn solcher Art dort gefällig zu stimmen, wo ihm die eintretenden Sachverhalte nicht ohnedies den politischen Manövrierraum nehmen. Zweitens unterschätzen die ÖVP-Taktierer die Auswirkungen ihres Kneifens auf künftige Erfolgsaussichten. Im Vergleich mit dem Sport könnte man sagen: Wer darauf verzichtet, entgegen den in ihn gesetzten Erwartungen bei einem Wettkampf überhaupt anzutreten, der gilt beim Publikum von vornherein als Verlierer. Genau das kann der ÖVP blühen. Indem sich beim Wähler-Publikum eine solche Stimmung breit macht, verringern sich die Erfolgsaussichten für die ÖVP bei kommenden Bundeswahlen. Das könnte Wasser auf die Mühlen des bislang wenig erfolgreichen Bundeskanzlers Faymann leiten. Immerhin muss Vizekanzler Pröll in seiner Eigenschaft als Finanzminister um der Rettung des Staatshaushaltes willen dem Steuerzahler ziemlich harte Bandagen verpassen. Da kann sich dann Faymann, dem Raffinesse ja nicht fremd ist, als „roter Einbremser“ gegenüber dem „schwarzen Steuervogt“ in Szene setzen. Der Ausgang dieses Duells bleibt ungewiss. Wie auch immer, die ÖVP befindet sich trotz der gegenwärtigen Krise der SPÖ keineswegs auf sicherem Erfolgskurs. Und da passt es gar nicht, wenn in der Bevölkerung der Eindruck entsteht, die ÖVP traut sich womöglich einen Sieg gar nicht zu – womit wir wieder bei der Bundespräsidentenwahl wären.
Die FPÖ hat schon sehr früh erkannt, dass eine große politische Lücke entstehen würde, falls die ÖVP auf ein Antreten gegen Heinz Fischer verzichten sollte. Es war auch richtig, einerseits der ÖVP genügend Bedenkzeit zu lassen, ob sie sich letztlich nicht doch noch zu einer eigenen Kandidatur durchringen werde, andererseits aber klar zu machen, dass die Freiheitlichen es nicht zulassen werden, dass der amtierende sozialdemokratische Bundespräsident ohne Gegenkandidaten aus den Reihen einer der Parlamentsparteien bleibt.
Diese Strategie war und ist staatspolitisch angemessen und in sich schlüssig. Daran ändert sich auch nichts, wenn man H.-C. Strache die eine und andere Nebenabsicht, so etwa in Richtung der Wiener Landtagswahlen, unterstellt. Es ist legitim und politisch völlig normal, verschiedene Motive für eine Aktion zu bündeln.
Im Kern bleibt es bei der Tatsache, dass die ÖVP in unverständlicher Weise eine große politische Lücke aufgemacht und in der Folge die FPÖ eben diese Lücke für die Nominierung eines eigenen Präsidentschaftskandidaten genützt hat.
Gekrönt wurde diese Strategie der FPÖ durch die Nominierung einer Frau. Man kann das mediale Aufheulen insbesondere aus den Reihen der rot-grünen Frauenriege – ungeachtet einmal der damit einher gehenden Gehässigkeiten – wohl auch als eine Bestätigung dafür werten, dass es durchaus in die Zeitverhältnisse passt, einmal eine Frau für das höchste Staatsamt zu nominieren. Damit entwuchs die freiheitliche Kandidatur der ansonsten einer kleinen Partei gar zu gern zugeschriebenen Bedeutungslosigkeit. Sie gewann den Charakter von etwas Besonderem. Wie peinlich dagegen muten die Wortmeldungen jener Männer insbesondere aus dem so genannten bürgerlichen Lager an, die eilfertig erklärten, dass sie diese Barbara Rosenkranz nicht wählen werden. Hier verzichtet des Sängers Höflichkeit auf die Nennung bekannter Namen. Der Vorgang an sich ist blamabel genug.
Für Rosenkranz bleibt das aus freiheitlicher Sicht strategisch richtige Antreten zur Präsidentschaftswahl so oder so ein persönlicher Opfergang. Sie folgt dabei ihrem Pflichtgefühl. Auch so ein Wort, das nicht als zeitgemäß gilt, obwohl evident ist, dass unsere gesamte extrem arbeitsteilige Zivilisation überhaupt nicht funktionieren könnte, würden nicht Millionen von Menschen an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz eben genau ihre Pflicht erfüllen. Um Rosenkranz zu schaden, wo und wie es nur geht, werden sich ihre Gegner noch einiges einfallen lassen. Mit größter Wahrscheinlichkeit wird man sie in das „verstaubte Eck“ der „Nur-Mutter-und-Hausfrau“ zu schieben versuchen. Sie hätte ja keinen „richtigen“ Beruf und ihr Menschenbild sei eben konservativ-rückständig. Wirklich?
Abgesehen davon, dass sogar diejenigen, die es für sich selbst nicht vorstellen können, viele Kinder zu haben, zugeben müssen, dass es eine ganz außerordentliche Leistung darstellt, zehn Kinder in die Welt zu setzten und erfolgreich großzuziehen, ist Barbara Rosenkranz ganz und gar nicht das unscheinbare „Heimchen am Herd“. Trotz großer Familie ist sie seit vielen Jahren engagiert und erfolgreich im öffentlichen Leben tätig: im Landtag, im Nationalrat und seit 2008 als Mitglied der Niederösterreichischen Landesregierung. Wer diese Leistung klein reden will, bekundet damit nur seine eigene Ignoranz. Auch stimmt es nicht, dass Rosenkranz einseitig ein nur konservatives Frauenbild propagiert. Was sie verlangt und immer wieder auch so anspricht, das lässt sich in kürzester Form mit dem Begriff der Wahlfreiheit umschreiben. Rosenkranz plädiert für eine Gesellschaftsordnung, die es den Frauen ohne zwingende Vorgaben ermöglicht, ganz persönlich für sich ein individuelles Lebensmodell auszuwählen. Für die eine mag das ein Leben als Hausfrau und Mutter, für die andere eine tolle Berufkarriere und für wieder eine andere eine Kombination aus Partnerschaft, Mutter und Nebenerwerbstätigkeit sein. So bunt die Welt, so vielfältig die Lebensentwürfe. Die einzige ordnungspolitische Voraussetzung dafür ist, dass alle diese Möglichkeiten im vorgegebenen Rechtsrahmen tatsächlich lebbar sind und dass nicht ein Modell diskriminiert, hingegen ein anderes staatlicherseits krass bevorzugt wird. Mit dieser Haltung steht Barbara Rosenkranz eindeutig in bester freiheitlicher Tradition: Lasst den Menschen, lasst den Männern und Frauen die persönliche Wahlfreiheit in ihrer Lebensgestaltung!
Gegenwärtig haben wir es mit einer gesellschaftspolitischen Schieflage zu tun. Es wird völlig einseitig ein Modell propagiert und darauf hingearbeitet, welches man mit folgenden Schlagworten kennzeichnen kann: Frauen in den Beruf, Kinder in Krippen, Kindergärten und Ganztagsschulen, Männer als Lebensabschnittspartner und evtl. Teilzeit-Väter. Wäre das nur ein Modell neben gleichberechtigten anderen, dann ließe sich über Einzelprobleme sachlich diskutieren. Dem ist aber nicht so. Dieses Modell wird einseitig favorisiert, weil dahinter eine fundamentalistische Ideologie steht, nämlich das Gender-Mainstreaming.
Kurz gesagt behauptet diese Ideologie, dass es von Natur aus keine wirklich bedeutsamen Unterschiede zwischen weiblich und männlich gäbe; die Unterschiede zwischen Frau und Mann seien nur gesellschaftlich zu erklären; Buben und Mädchen seien gleich zu erziehen, beide auch in der Rolle des jeweils anderen; Frauen in Männerberufen seien genauso normal wie Männer in Frauenberufen. Die Geschlechterunterschiede seien einzuebnen.
Gegen dieses im Prinzip totalitäre und aus marxistischen Wurzeln gespeiste Gender-Mainstreaming stellt sich nun Barbara Rosenkranz mit aller Entschiedenheit. Und jeder, der eigene Erfahrung mit der Erziehung von Kindern beiderlei Geschlechts von kleinauf hat, wird ihrer Kritik an diesem völlig lebensfremden Menschenbild beipflichten. Rosenkranz hat zu diesem Thema ein Buch geschrieben: „MenschInnen – Gender Mainstreaming – Auf dem Weg zum geschlechtslosen Menschen“ (Ares Verlag, Graz 2008). Wir haben dieses Buch in den Genius-Lesestücken ausführlich besprochen: „Wider die Abschaffung von Mann und Frau“ (Genius-Brief Dezember 2008). Wer sich mit diesem Thema gründlicher befassen will, findet in den genannten Quellen genügend Anknüpfungspunkte, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Dieses Thema ist längst nicht mehr auf rein theoretische Diskussionen beschränkt, sondern spielt inzwischen hochpolitisch in alle Bereiche hinein – von der Pädagogik bis zur Bildungspolitik und von der Arbeitswelt bis zur Sozialpolitik. Hier sollteman tatsächlich nicht vor lauter Bäumen den Wald übersehen.
Es liegt auf der Hand, dass Barbara Rosenkranz mit diesem Buch zum Feindbild aller Anhänger des Gender-Mainstreaming geworden ist. Diese dominieren aber derzeit in vielen Medien. Angesichts dieser Situation braucht man sich über die tiefe Ablehnung, die der freiheitlichen Präsidentschaftskandidatin medial entgegen schlägt, nicht mehr zu wundern. Hier geht es um eine echte Konfrontation. Man kann sich nur wünschen, dass sie wenigstens einigermaßen demokratisch-argumentativ ausgetragen wird, was eher eine optimistische Sichtweise sein dürfte.
Barbara Rosenkranz hat einen politischen Opfergang angetreten. Wenn sie ihn mit Festigkeit und in menschlicher Würde bis zum Wahltag durchhält, wird ihr allem widrigen Gegenwind zum Trotz ein schöner Achtungserfolg beschieden sein. Denn auch wenn das Volk mehrheitlich schweigend zuschaut, es denkt sich seinen Teil und viele Leute wissen sich letztlich auch des Stimmzettels zu bedienen. Das haben uns jüngst erst die Schweizer vorgemacht.