Die Machtspiele um Deutschland und Österreich


Teil 1 – Der I. Weltkrieg (1914–18) und II. Weltkrieg (1939–45)

 

Von Bertram Schurian

Bedeutende Historiker sind der Meinung, dass das Ende des II. Weltkrieges erst im November 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer, dem Ende der Teilung Deutschlands (3. Oktober 1990) und – zwei Jahre später – dem Ende der Sowjetunion stattfand. Manche sind auch der Meinung, dass die Periode 1914–1945 der zweite Dreißigjährige Krieg in der Geschichte Europas gewesen sei. Denn der Friede, der den Deutschen, Österreichern und Ungarn in den Verträgen von Versailles (29. Juni 1919), St. Germain (10. September 1919) und Trianon (4. Juni 1920) nach Ende des ersten Krieges diktiert wurde, war – da das demokratische Selbstbestimmungsrecht für die Deutschen und Österreicher im damaligen Europa mit Füßen getreten wurde – der Beginn einer Bewegung, die versuchte, diese „Schandfrieden“, wie sie von den Betroffenen damals genannt wurden, zu revidieren, um schließlich wieder in einen Weltkrieg zu münden. Viele Probleme, die im und nach dem II. Weltkrieg nicht gelöst wurden, wucherten im so genannten „Kalten Krieg“ weiter, der weitere 45 Jahre dauerte und zur Folge hatte, dass jenes politische System, das seine Basis im liberalen demokratischen Parlamentarismus hat, allgemein als das relativ beste aller politischen Systeme angesehen wird. Darüber gibt es keine Diskussion. Alles andere ist sehr wohl für verschiedene Interpretationen offen.

Ursachen für den I. Weltkrieg

Nach Ende des Preußisch-Französischen Krieges im Jahre 1870 (den Frankreich begonnen und verloren hatte und als dessen Folge Elsass/Lothringen „für ewig“ an Deutschland abtreten musste) und der Errichtung des Deutschen Reiches unter Bismarck im Jahre 1871, die im Spiegelsaal von Versailles festlich begangen wurde, war Frankreich tief in seinem nationalem Stolz verletzt. Deutschland entwickelte eine äußerst dynamische Wirtschaft und nahm einen ungeahnten Aufschwung, der sich auch in militärischer Stärke manifestierte.

Da das Vereinigte Königreich (England, Schottland und Wales) wegen des dramatischen Anstieges der wirtschaftlichen und militärischen Macht Deutschlands, wie sie u.a. im Bau der Bagdadbahn zum Ausdruck kam, um seine Dominanz in der Welt fürchtete, ging es mit Frankreich 1904 die „Entente cordiale“ ein, obwohl Frankreich und England einander Jahrhunderte lang bekriegt hatten. Die Politik des Vereinigten Königreiches gegenüber dem Festland von Europa basierte von alters her auf dem Prinzip „teile und herrsche“. Dabei übersah die britische herrschende Elite die potenzielle Gefahr für sein Empire durch die ebenfalls wirtschaftlich und militärisch aufstrebenden Vereinigten Staaten von Amerika. Auch die Vereinigten Staaten selbst sahen im erstarkten Deutschen Reich einen machtvollen Konkurrenten heranwachsen, besonders in seinem Hinterhof Südamerika. Dies, und nur dies, ist für viele Historiker der Grund für den Eintritt des britischen Empires und Frankreichs sowie im späteren Verlauf der USA in den ersten Weltkrieg. Militärisch hat Deutschland den ersten Weltkrieg im Westen gegen England, Frankreich und die USA verloren, obwohl es keinem fremden Soldaten gelang, deutschen Reichsboden zu betreten, hingegen im Osten gegen Russland nicht. Eine große Rolle spielten auch die sozialen Unruhen und Veränderungen im Leben vieler Menschen als Folge der industriellen Revolution und wirtschaftlichen Entwicklungen in allen europäischen Staaten und im Zarenreich, die praktisch von 1870 bis 1914 und den Jahren danach in starkem Maße andauerten und ihren Kulminationspunkt im Jahre 1918 im Untergang des Deutschen Reiches, der K. u. K. Österreich-Ungarischen Monarchie, des Osmanischen Reiches und des Zarenreichs hatten. Diese unruhige Zeit war ein fruchtbarer Boden für das Entstehen der verschiedensten politischen Vereinigungen und Parteien. Allen Parteien war der Wunsch eigen, die Lebensumstände der Menschen zu verbessern. Der Weg, wie dieses Ziel zu erreichen sei, wurde auf die unterschiedlichste Art und Weise gewählt. So entstanden Gruppierungen, die die Geschichte des 20. Jahrhunderts nachhaltig beeinflussen und prägen sollten, wie faschistische Parteien und radikal sozialistisch/kommunistisch orientierte.

Die Vereinigten Staaten von Amerika propagierten mit ihrem Kriegseintritt 1916 das demokratische Selbstbestimmungsrecht der Völker (u. a. die 14 Punkte von Präsident Woodrow Wilson ), damit den so genannten „Völkerkerkern“ in Europa ein Ende bereitet werden könne, und traten u.a. auch aus diesem Grunde in den Krieg ein. Die Vereinigten Staaten als die eigentlichen Sieger duldeten jedoch, dass die übrigen Siegermächte wie Großbritannien, Frankreich und Italien die 14 Punkte des US-Präsidenten missachteten. Damit wurde die Ausgangslage geschaffen für neue Streitigkeiten unter den Völkern in Europa, die schon 20 Jahre später direkt in den II. Weltkrieg führten. Der Friedensschluss von Versailles, St. Germain und Trianon für Deutschland, Österreich und Ungarn war ein Diktat und wurde von den betroffenen Staaten als ungerecht sowie den geltenden Moralvorstellungen zuwiderlaufend empfunden. Man fühlte sich von den Vereinigten Staaten hintergangen und im Stich gelassen. Deutschland musste die alleinige Schuld am Ausbruch des Krieges übernehmen mit allen damit zusammenhängenden Folgen, insbesondere untragbaren Wirtschaftsbedingungen. Von der k. u. k. Monarchie blieb nur „der Rest“ (so Clemenceau wörtlich), nämlich Deutsch-Österreich.

Ursachen für den II. Weltkrieg

Eines der Basisprinzipien, für das die Alliierten ( England, Frankreich, die USA) vorgaben, in den I. Weltkrieg eingetreten zu sein, nämlich das demokratische Selbstbestimmungsrecht der Völker, wurde in der Praxis durch das Friedensdiktat mit Füßen getreten. Dies führte in der Zwischenkriegszeit zu gewaltigen politischen Unruhen und wirtschaftlicher Zerrüttung. Beispiele dafür sind Deutschland (wiederholte illegale Interventionen französischer Truppen in Deutschland); die Republik Österreich (der Volkswille zum Anschluss an die Deutsche Republik wurde missachtet und verboten, ebenso der Name Deutsch-Österreich); die Tschechoslowakei (die starke Minderheit der rund 3 Millionen Deutschen wurde als Bürgerschaft zweiter Klasse behandelt); Jugoslawien (den verschiedenen ethnischen Minderheiten wurde ihre kulturelle Entfaltung vorenthalten); Ungarn (40 % der ungarischen Bevölkerung lebten plötzlich als Minderheit in den Ungarn umringenden Ländern); Polen (der größte Teil Westpreußens mit überwiegend deutscher Bevölkerung wurde ohne Volksabstimmung zum polnischen Staatsgebiet, Ostpreußen wurde durch den polnischen Korridor von Deutschland getrennt, die deutsche Minderheit in Polen vom polnischen Staat drangsaliert, Danzig wurde Freie Stadt und vom Völkerbund unter französischem Vorsitz verwaltet). Das sind nur Beispiele aus einer langen Liste.

England und Frankreich sahen im wiedererstarkten Deutschland eine große Gefahr für sich und ihre Kolonialreiche, obwohl Hitler als Reichskanzler seit 1933 Großbritannien angeboten hatte, es bei der Bewahrung seines Empires zu unterstützen. England und Frankreich hatten, wie schon im I. Weltkrieg, Angst vor einem politisch und militärisch zu starken Deutschland, da dies die Kräftebalance in Europa in ihren Augen zu stark verändern würde. Sir Robert Vansittart vom Foreign Office hat die englischen Motive sehr gut beschrieben: „Wir bekämpfen den Charakter der Deutschen. Wenn wir diesen Charakter nicht in einem langwierigen Prozess ändern, haben wir keine Zukunft. Wir werden dann vielmehr Deutschland und der Finsternis angehören. .. Hitler ist kein Zufall. Er ist das natürliche fortgesetzte Produkt einer Rasse, die von den frühesten Tagen der Geschichte an räuberisch und kriegslüstern war … Im angeborenen Bösen der deutschen Denkungsart – der Art des gesamten deutschen Volkstums – ist das Problem der Welt zu finden.“[1] Dies ist nach heutigem Verständnis eindeutig rassistisches Gedankengut. Erhellend ist ebenfalls ein Zitat des „Sunday Correspondent“ vom 16. September 1989: „Wir sind 1939 nicht in den Krieg eingetreten, um Deutschland vor Hitler oder die Juden vor Auschwitz oder den Kontinent vor dem Faschismus zu retten. Wie 1914 sind wir für den nicht weniger edlen Grund in den Krieg eingetreten, dass wir die deutsche Vormachtstellung in Europa nicht akzeptieren können.“

Die Rolle der USA

Für Amerika sprach Louis Nizer nach 1945 aus, wofür man in den Krieg gegangen war. Er meinte, die Deutschen hätten eine Philosophie entwickelt, die aus dem Kriege eine Religion mache und aus Massenmord einen Kult. Sie würden es als ihre Mission betrachten, alle anderen Völker zu versklaven.

Sehr erhellend ist auch die Meinung von Samuel Huntington, die er in seinem Buch „The Clash of Civilizations“ (deutsch Europaverlag 1997) auf Seite 369 zu diesem Thema formulierte: „Mehr als zwei Jahrhunderte lang haben die USA den Versuch unternommen, das Entstehen einer dominierenden Macht in Europa zu verhindern. Fast hundert Jahre lang, seit der Politik der ,offenen Tür` gegenüber China, haben sie das gleiche in Asien versucht. Zur Erreichung dieser Ziele haben die USA zwei Weltkriege und einen kalten Krieg gegen das kaiserliche Deutschland, Nazi-Deutschland, das kaiserliche Japan, die Sowjetunion und das kommunistische China geführt. Dieses amerikanische Interesse besteht fort und wurde von allen bisherigen Präsidenten bekräftigt.“ Das sind eindeutige Worte!

Der Hauptgrund für Amerikas Eintritt in die Kriege gegen Deutschland lag und liegt in der starken wirtschaftlichen Konkurrenz Deutschlands für die USA. Der gigantische Diebstahl von deutschen Erfindungen und deutschen Patenten nach Ende des II. Weltkrieges ist hierfür der beste Beweis. Auch die Nordamerikaner hatten, wie die Sowjets, den Missionierungsdrang, die Welt mit ihren Wertvorstellungen zu „beglücken“ und gleichzeitig ihre wirtschaftliche und militärische Macht zu erhöhen. Das Vereinigte Königreich und die USA sahen in Deutschland den Inbegriff des Bösen und seine Regime von Anfang an und in allen Bereichen als verwerflich und verbrecherisch an. Sie, die Alliierten, kämpften dagegen für so hehre Ziele wie Freiheit, Unabhängigkeit, Demokratie, Toleranz und Menschenrechte. Zudem reagierte die Roosevelt-Regierung sehr bald nach Hitlers Amtsantritt mit einer Schärfe gegen Deutschland, die zwischen souveränen, nicht Krieg führenden Staaten ungewöhnlich war. Mit ein Grund dafür war wohl auch der relative Misserfolg seiner New-Deal-Politik, denn trotz immenser Anstrengungen gab es 1938 in den USA immer noch 10,4 Millionen Arbeitslose. Deutschlands ursprünglich 6,3 Millionen Arbeitslose waren 1936 zu einem großen Teil wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert.

Deutschland wollte eine Revision der in seinen Augen schändlichen Friedensbedingungen von Versailles erreichen, beanspruchte einen ihm militärisch und wirtschaftlich angemessenen Platz in der Welt und wollte sich von den Fesseln des Versailler Diktates lösen. Als Reichskanzler sah Hitler andererseits im praktizierten Kommunismus in der Sowjetunion eine große Gefahr für Europa und die Welt. In dieser Einschätzung war er nicht allein. Alle wichtigen Politiker (wie auch Winston Churchill) und gesellschaftliche Kräfte wie die verschiedenen Kirchen waren mit ihm in diesem Punkt einer Meinung. Lenin gab ja schon 1918 den Befehl, Gegner des Kommunismus in Arbeitslager unter zu bringen und zu vernichten. Es wurde eine Staatsverwaltung dieser Lager unter dem Namen GULag errichtet. Bevölkert wurden diese Lager mit Menschen, die von der Tscheka oder „Außerordentlichen Kommission zur Bekämpfung der Konterrevolution und Sabotage“ der antisowjetischen Haltung beschuldigt wurden. Wie viele Menschen in dieses System hinein gepresst wurden, ist schwer zu sagen, jedoch kamen nach Schätzungen von Historikern ca. 7 Millionen Menschen im GULag ums Leben. (Auch in Deutschland gab es Lager für Zwangsarbeiter, in denen wahrscheinlich mehr als 0,6 Millionen Menschen umkamen). Deutschland verstand sich selbst als Bollwerk des Westens gegen den Bolschewismus/Kommunismus und wurde auch von anderer Seite so bezeichnet. So sagte Winston Churchill 1919 dies über das Sowjetsystem: „Von allen Tyranneien der Geschichte ist die bolschewistische die schlimmste, die vernichtendste, die erniedrigendste. Es ist reiner Humbug vorzugeben, sie sei nicht viel schlimmer als der deutsche Militarismus”.[2]

Die Sowjetunion ihrerseits sah für sich die Aufgabe, die Welt zum kommunistischen System zu bekehren, da sie diese Klassenideologie als Befreiungslehre für unterdrückte Gesellschaftsschichten und für kolonial gehaltene Völker ansah. Um dieses Ziel zu erreichen, musste erst Deutschland, das damals wirtschaftlich und militärisch stärkste und modernste Land in Europa, besiegt werden, um schließlich mit diesem Potenzial den Angriff auf den kapitalistischen Westen zu beginnen. Die von Stalin gern zitierte Lenin-Parole lautete: „Wer Berlin hat, hat Deutschland. Wer Deutschland hat, hat Europa. Wer Europa hat, hat die Welt.“ Außerdem strebte die Sowjetunion nach Rückgabe der im I. Weltkrieg verlorenen Gebiete des zaristischen Russlands und nach freiem Zugang zu den Meeren, insbesondere zur Ostsee und zum Mittelmeer.

Der Beginn des II. Weltkrieges

Beginn des II. Weltkrieges war der 1. September 1939. An diesem Tag marschierte die Wehrmacht in Polen ein. Eine große Überraschung für die Welt war der Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939. Im geheimen Zusatzprotokoll setzten Hitler und Stalin ihre Einflusszonen fest. Die baltischen Staaten, der östlich der Weichsel liegende Teil Polens und Kareliens, wurden dem sowjetischen Bereich überantwortet. Der westlich der Weichsel liegende Teil Polens und die Freie Staat Danzig kamen unter Besatzung des Deutschen Reiches. Hitler wollte die Polen dazu bringen, ihm freien Zugang zu Danzig zu gewähren. Dieses geheime Zusatzprotokoll wurde von einem deutschen Diplomaten, Herwarth von Bittenfeld, an seinen amerikanischen Kollegen in Moskau verraten. Roosevelt und Churchill wussten davon, setzten die polnische Regierung davon aber nicht in Kenntnis.

Die offiziellen Forderungen von Hitler gegenüber den Polen werden als moderat bezeichnet. Da die Polen sich jedoch weigerten, auf die Forderungen einzugehen, erklärte Hitler Polen den Krieg und erwartete diesen in kurzer Zeit gewonnen zu haben. Zwei Tage später erklärten England und Frankreich den Krieg an Deutschland. Dies hatte Hitler, als echter Bewunderer Englands und seines Empires, nicht erwartet. Am 17. September 1939 marschierte die sowjetische Armee in Polen ein. Die baltischen Staaten wurden im August 1940 ohne jegliche Vorwarnung von der Roten Armee okkupiert und der Sowjetunion einverleibt. Somit waren die Freie Stadt Danzig und Ostpreußen wieder beim Reich. England konnte Polen kaum militärisch unterstützen, weil es dazu nicht imstande war. Frankreich hatte, da es ein stärkeres Heer als Deutschland besaß, ein Interesse daran, zusammen mit Polen Krieg gegen Deutschland zu beginnen. Der Sowjetunion aber, obwohl diese ebenfalls Angreifer Polens war, erklärten England und Frankreich nicht den Krieg. Es gab auch keine Kriegserklärung, als die Sowjetunion am 30.November 1939 mit 30 Divisionen Finnland überfiel und sich dabei eine schwere militärische Niederlage holte. Das Verhalten von London und Paris war also völlig einseitig gegen Deutschland gerichtet. Bei einigem guten Willen der westlichen Alliierten hätte es keinen großen Krieg geben müssen. Hitler wollte damals keinen solchen Krieg, weil er erstens nicht in einen Zweifrontenkrieg, der das Ende des Kaiser-Reiches einläutete, verwickelt werden wollte, und zweitens war die Wehrmacht gar nicht für einen langen Krieg gerüstet. Erfolge hatte Hitler nur mit Blitzkriegen, also mit schnellen militärischen Operationen (siehe die Operationen in Österreich, Tschechoslowakei, Frankreich über Belgien und Holland). Erst 1942–43 erwartete er, voll militärisch gerüstet zu sein. Auch Großbritannien war für einen großen Krieg nicht vorbereitet und gerüstet. Denn die Weltwirtschaftskrise hatte England und das Empire schwer in Mitleidenschaft gezogen. Deutschland hatte jedoch seit 1933 eine durch Dr. Hjalmar Schacht, der kein Hitler-Anhänger war, konzipierte sehr erfolgreiche Wirtschaftspolitik geführt, die zu steigendem Wohlstand und einem regelrechten Baby-Boom führte. Roosevelts New Deal in den USA war hingegen weniger erfolgreich.

Die Rolle Winston Churchills

Erst Winston Churchill veränderte die zunächst auf „appeasement“ gerichtete englische Politik. Diese Kehrtwendung Englands im März 1939 machte einen Krieg unvermeidlich. Der „Lend-Lease-Act“ vom 11. März 1941 mit den USA machte eine verstärkte militärische Aufrüstung in England erst möglich. Mit diesem Vertrag stellte sich die USA als neutrales Land auf Seite der Gegner Deutschlands. Am 11. Juni 1942 wurde dieser Vertrag auch auf die Sowjetunion ausgedehnt. Maßgebliche Historiker sind der Meinung, dass Roosevelt und Churchill den Krieg eben wollten. Es ging ihnen um nichts anderes als um ein Niederhalten von Deutschland, das nach Ansicht Englands zu mächtig zu werden drohte. Churchill schreckte auch nicht vor einer Zusammenarbeit mit dem antidemokratischen, inhumanen Regime Stalins zurück, dessen staatliche Mordrate alles bisher Dagewesene bei weitem überragte. Die politischen Eliten Englands und Frankreichs bemühten sich um ein Bündnis mit dieser verbrecherischen Diktatur und begründen das scheinheiliger Weise damit, für Demokratie und Menschenrechte in Europa einzutreten, aber in Wahrheit um die vermuteten Weltherrschaftsambitionen Deutschlands zu vereiteln.

Die Sowjetunion wollte den kapitalistischen Westen aus ideologischen Gründen angreifen und besiegen. Daher Stalins Pakt mit Hitler und die vorläufige wirtschaftliche sowie militärische Zusammenarbeit der Sowjetunion mit Deutschland. Warum dann der Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion? Im November 1940 besuchte der sowjetische Außenminister Molotow Berlin und konfrontierte die deutsche Regierung mit der Forderung, Deutschland möge die Interessen der Sowjetunion hinsichtlich Finnlands, Bulgariens, Rumäniens, Polens, Jugoslawiens und Ungarns anerkennen. Dazu wurden beherrschende russische Positionen in den Meerengen des Schwarzen Meeres sowie freier Zugang von der Ostsee durch das Kattegat und Skagerrak zur Nordsee gefordert. Diese Forderungen waren aus deutscher Sicht so überzogen, dass Deutschland sich gezwungen sah, zwischen Kampf oder Unterwerfung wählen zu müssen. Hitler entschied sich für Kampf und damit für einen Zweifronten-Krieg, den er eigentlich vermeiden wollte. Der Besuch Molotows löste konkrete Planungen für einen Ostfeldzug, später genannt „Unternehmen Barbarossa“, aus. Am 22. Juni 1941 begann der Angriff auf die Sowjetunion. Verbündete in diesem Angriff waren Finnland, Rumänien, Italien, Ungarn, die Slowakei und Kroatien. Freiwillige Verbände, vornehmlich der Waffen-SS, stellten Esten, Letten, Litauer, Dänen, Holländer, Belgier, Franzosen, Schweizer, Norweger, Schweden und Spanier, die nach ihrem damaligen Selbstverständnis den Kampf aufnahmen gegen die bolschewistische Gefahr. Zudem wurde rund 1 Million sowjetischer Soldaten aus den verschiedenen Völkern der Sowjetunion zum Kampf gegen das Sowjetregime bewaffnet.

Wann hätte Stalin angegriffen?

Hitler kam damit einem Erstschlag der Sowjetunion zuvor, dessen Vorbereitung zum Angriff auf Deutschland am 10. Juli 1941 hätte abgeschlossen sein sollen. Als Beweis für einen geplanten Angriffskrieg Stalins auf Deutschland gilt die ungeheure Ansammlung sowjetischer Soldaten an der Westgrenze, die Art der Bewaffnung dieser Truppen und die Tatsache, dass alle zu Defensivzwecken errichteten Befestigungsanlagen zerstört und beseitigt wurden. Auch spricht für diese These die riesige Zahl und ungeheure Menge der von der Deutschen Wehrmacht in den ersten Wochen des Angriffes gemachten sowjetischen Gefangenen und erbeuteten sowjetischen Kriegsmaterials. Sehr instruktiv ist ein Vergleich der militärischen Stärke der UdSSR und Deutschland. Im Jahre 1939 verfügte die Sowjetunion über 8.105 Militärflugzeuge, Deutschland über 2.916.

Im Jahre 1941, vor dem Angriff auf die SU, verfügte Deutschland über 3.790 Panzer aller Größen, 11.776 Militärflugzeuge und 11.200 Stück schwerer Artillerie.

Die Sowjetunion hatte zu ihrer Verfügung 6.590 Panzer, 15.735 Militärflugzeuge und 42.300 Stück schwerer Artillerie. Der Wert der im Rahmen des Lend-Lease-Vertrages von den USA gelieferten Waren aller Art an Großbritannien und die Sowjetunion in den Jahren 1942 bis 1945 wird auf US-$ 50 Milliarden geschätzt, wobei rund US-$ 10 Milliarden an die Sowjetunion gingen. Bemerkenswert ist, dass die USA nie in irgendeiner Weise versuchten, diese beträchtliche Hilfe als politischen Hebel gegenüber Stalin zu gebrauchen.

Die ersten Wochen des Krieges waren für die Sowjetunion ein gigantisches Desaster. Die Deutsche Wehrmacht nahm ca. 3 Millionen Rotarmisten gefangen. Einen großen Teil dieser Gefangenen ließ man in Gefangenenlagern unter deutscher Aufsicht verhungern. Eine Schande. Diese schlechte Behandlung der Rotarmisten kehrte sich später gegen die Deutschen. Dass sich die Sowjetunion von dieser schweren Anfangsniederlage erholen konnte, lag an zwei Faktoren: Faktor 1: Als Japan am 7. Dezember 1941 die Vereinigten Staaten in Pearl Harbor überfiel und dabei die Pacific Flotte der USA dezimierte, konnte Stalin die an der Grenze der Mandschurei/China gebundenen Militäreinheiten in das europäische Russland transferieren und gegen die Wehrmacht einsetzen. Faktor 2 liegt an der demographischen Entwicklung in der Sowjetunion. So wie Deutschland in den Jahren zwischen 1930 und 1940 einen wahren „Baby Boom“ erlebte, gab es nach dem Ende des Bürgerkrieges im Jahre 1922 und einer gewissen wirtschaftlichen Stabilisierung in der Sowjetunion ab 1925 eine ungeheure Zunahme der Geburten. Jedenfalls konnten die Militärplaner der Sowjetunion mit genug jungen für den Militärdienst tauglichen Männern in den vierziger Jahren rechnen.

Hitlers Sicht des Bolschewismus

Ein wichtiger Aspekt in der Kriegsführung gegen die Sowjetunion war Hitlers Propaganda vom „jüdischen Bolschewismus“, die trotz ihrer Übersteigerung einen wahren Kern hatte. Merkwürdig genug: Der Antisemitismus ist so alt und so weit verbreitet wie das Christentum. Auch durch die Lehre von Charles Darwin, verfasst in seinem Buch „The Origin of Species“, erhielt Hitlers Antisemitismus Impulse. Während Karl Marx die Lehren von Darwin sozial/soziologisch begründete, war es bei Hitler eine Sache der Biologie. Marx machte die kapitalistische Bourgeoisie für alle Übel auf dieser Welt verantwortlich, Hitler die Juden. Die wahnwitzige Überzeugung Hitlers von der „Überlegenheit der germanischen Rasse“ gegenüber den Slawen und anderen Völkern hat u. a. entscheidend zur Niederlage der Deutschen Wehrmacht im Osten beigetragen. Wichtig für Hitlers persönlich gezimmertes krauses Weltbild war nicht zuletzt seine Erfahrung mit den deutschen Kommunisten und den russischen Bolschewiken nach dem Ende des I. Weltkrieges. In beiden Fällen waren deren führende Kräfte überwiegend Deutsche und Russen jüdischer Herkunft, die mit dem orthodoxen Judentum gebrochen und sich emanzipiert hatten. Tatsache ist, dass sechs von zehn Männern, die unter dem Vorsitz von Lenin im Oktober 1917 den Beschluss fassten, die Revolution auszulösen, Russen jüdischer Herkunft waren. 1918 waren 82 % der Funktionäre des Sowjetstaates Russen jüdischer Herkunft. Das Zentralkomitee der KPdSU bestand damals aus 12 Mitgliedern, 9 davon Juden. Für Hitlers Vorstellungswelt bildeten daher Antibolschewismus, Antikommunismus, Antimarxismus und Antisemitismus eine Einheit.

Ein verständlicher Grund für die Teilnahme der Juden an den Aktivitäten der KPdSU war die Tatsache, dass sie bis zum Februar 1917 im zaristischen Russland praktisch rechtlos waren. So lebten die russischen Juden in einem steten Spannungsfeld von Pogromen, zionistischen Verheißungen und sozialistischem Messianismus. Ihre Hoffnung war auf die soziale Revolution gerichtet, von der sie erwarteten, dass sie alle jüdischen Probleme lösen würde. Der Umstand, dass auch russische Juden aktiv in den Organen der Strafjustiz und des russischen Geheimdienstes mitgearbeitet haben, spielte für ihre Gegner auch eine Rolle. Diese Sowjet-Institutionen sind bekanntlich für den im Namen des Kommunismus verübten ungeheuren Völkermord in der Geschichte verantwortlich, in dem zwischen 50–60 Millionen Menschen direkt umgebracht wurden oder in der GULag-Haft ums Leben kamen.[3]

Da es der deutschen Wehrmacht nicht gelang, die Herrschaft der KPdSU in der Sowjetunion zu beenden – unter anderem auch durch militärstrategische Fehler Hitlers als „oberster Kriegsherr“ – wurden gleichsam als Kompensation für die fehlgeschlagene Aktion die Juden in ihren Gebieten in Russland, Polen, Litauen, Weißrussland und der Ukraine ermordet. Diese These wird von Arno Mayer in seinem Buch „Why did the Heavens not darken?” vertreten. Für diese These spricht auch das Haavara-Agreement, das die Judenpolitik zwischen 1933 und 1942 im Deutschen Reich regelte, und die Einrichtung der Zentralstelle für jüdische Auswanderung, die zu einer Zusammenarbeit zwischen SS bzw. SD und den Zionisten in der „Jewish Agency for Palestine“ führte und zunächst auf eine geordnete Emigration der Juden nach Palästina hinwirkte. Der nachfolgende Völkermord an den europäischen Juden durch das NS-Regime ist ein dunkler Fleck in der deutschen Geschichte. Nichts rechtfertigt die Ermordung von Menschen auf Grund ihrer religiösen oder politischen Auffassung oder auf Grund ihrer Herkunft oder Geartetheit. Dies gilt gleichermaßen für das kommunistische wie für das nationalsozialistische Herrschaftssystem und für jedes andere Terror-Regime. Seit einiger Zeit sind auch die schier unfassbaren Zahlen der Massenmorde unter der Herrschaft Mao-Tse-Tungs, der u. a. von der 68er Studentenbewegung verherrlicht wurde, der Öffentlichkeit bekannt geworden. Leider meinte Daniel Goldhagen kürzlich erst zutreffend: „Die Welt hat Völkermorde niemals beendet.“[4] Wann wird die Menschheit aus der Geschichte lernen?

Anmerkungen

[1] R. Czernin, Das Ende der Tabus, Seite 13.
[2] Norman Davies, Europe at war, Seite 50.
[3] R. Czernin, a. a. O. Seite 147.
[4] Conturen, 3–4/09, Seite 55.

Verwendete Quellen (Teil 1 und Teil 2)

Bacque James, Der geplante Tod, Pour le Merite, 1989

Czernin Rudolf, Das Ende der Tabus, 5. Auflage, Leopold Stocker Verlag, 2001

Davies Norman, Europa at war – no simple victory, Pan Books, 2006

Davies Norman, Europe – a history, Pimlico, 1997

Goldstone Jack, The New Population Bomb, Foreign Affairs, Jan/Feb 2010

Hamer Eberhard, Mit oder ohne Kinder – die Konsequenzen, Genius-Brief 2/2010

Kennedy John F., Zivilcourage, deutsch: Econ Verlag, 1983

Mak Geert, In Europa – Reizen door de twintigste eeuw, Uitgeverij Atlas, 2004

Mayer Arno, Why did Heavens not darken?, Pantheon Books, 1988

Schultze-Rhonhof, 1939 – Der Krieg, der viele Väter hatte, Olzog Verlag, 2007

 

Der Teil 2 dieses Beitrages von Bertram Schurian folgt im nächsten Genius-Brief. Er befasst sich mit den Lehren aus den Weltkriegen, den seither eingetretenen globalen Entwicklungen und mündet in ein Plädoyer für die Zusammenarbeit aller vernünftigen Kräfte trotz der historischen Traumata auf der Basis echter Gleichberechtigung. Anm. d. Redaktion

Bearbeitungsstand: Montag, 10. Jänner 2011

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