Von Karl Sumereder
Philosophie, das Streben nach Weisheit, kann hilfreich sein, gelegentlich in Stille und Zurückgezogenheit sein eigenes Selbst zu verstehen, beziehungsweise sich im Leben zurechtzufinden. Sie ist hilfreich beim Fragen nach dem Sinn und Zweck des evolutionären Geschehens, auch wenn es dazu keine einfachen Antworten auf die Hand gibt. Immerhin kann man als Fragender und sich selbst nicht einfach bloß genügender Mensch ein solcher durchaus im Sinne von „re-ligio“ sein.
Die Geschichte der Philosophie ist aber reich an Eigenartigkeiten, so dass man manchmal den Eindruck hat, sie sei entweder eine Unterart oder eine Krönung der fantastischen Literatur.
Tatsächlich aber sucht die Philosophie Antworten auf Fragen und Rätsel, die uns die Wirklichkeit aufgibt. Es sind in erster Linie nicht sichere Wahrheiten zu erwarten, sondern Denkanstöße, vermittels derer das vertraute Weltbild mit neuen Perspektiven konfrontiert wird. Konrad Lorenz (1903–1989) hat einmal gesagt, die Philosophie ist das schönste und geschlossenste System der dem Menschen nicht lösbaren Fragen.
In diesem Essay ist auch von Philosophen die Rede, deren Theorien weniger bekannt oder bemerkt wurden.
Gewöhnlich zweifeln wir nicht daran, dass alles, was wir sehen, hören, fühlen, schmecken und riechen, eine materielle Welt, eine körperliche Wirklichkeit ist, die unabhängig von unserer Wahrnehmung existiert, weil deren Gegenstände auch während der Zeit existieren, in der wir sie nicht beobachten. Wenn wir uns aber fragen, wie diese Wirklichkeit beschaffen ist, müssen wir uns eingestehen, dass sie nur in der Weise existiert, wie wir sie wahrnehmen. Wie wir sie durch Beobachtungen, Forschungen, Experimente und Theorien oder durch die Sprache der Mathematik erfassen können. Andererseits wissen wir, dass unsere Sinne nicht ausreichend, nicht zuverlässig genug sind, um die Wirklichkeit so zu begreifen, wie sie wirklich sein mag. Die Frage wiederum, ob es etwas gibt, was geistiger Natur ist, ist nicht zu beantworten, da es nicht gelingt, Geistiges durch Eigenschaften zu beschreiben oder dieses an dessen Eigenschaften zu erkennen.
Einer der nicht der Ansicht war, dass die Welt unabhängig von unserer Wahrnehmung existiert, war der irische Philosoph, Theologe und nachmalige Bischof von Cloyne, George Berkeley (1684–1753).Vor dreihundert Jahren veröffentlichte er eine kurze „Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis“. Im Sinne eines radikalen subjektiven Idealismus gab er zu bedenken, dass wir die Welt nur als Idee wahrnehmen. Ihr Sein erhält die Welt nur durch die Tatsache der Wahrnehmung. Sinngemäß meinte er, dass die Welt farbig nicht sein kann, da Farben subjektiv erst im Bewusstsein einer Betrachtung, wegen der Wirkung des Lichtes auf den Sehapparat, entstehen. Musikinstrumente tönen nicht, sie senden nur Schallwellen aus, die unsere Ohren und unser Gehirn, ohne dass wir wüssten wie, in Töne verwandeln. Blumen, Kräuter, Essenzen duften und riechen nicht, es werden Geruchsstoffe emittiert, die erst in uns als diverse Geruchsempfindungen auftreten.
Hinsichtlich unserer Sinneswahrnehmungen ähneln wir ja tatsächlich einem Radioapparat, der nur wenige Programme empfangen kann. Für unzählige Signale aus dem All beziehungsweise aus der Umwelt, vor allem jene, die für unser Überleben nicht von Bedeutung sind, sind wir nicht eingerichtet.
Wir täuschen uns oft. Wir könnten, so sinnieren Philosophen, uns vielleicht immer täuschen. Der amerikanische Dichter und Philosoph George Santayana (1863–1952) trieb solchen Skeptizismus radikaler als der französische Philosoph René Descartes (1596–1650) so weit, wie es logisch nur möglich ist. Das hieß, den Zweifel hypothetisch auf die eigene Existenz auszudehnen. Der Umstand, dass man gemäß Descartes ja denke, demgemäß also wirklich sei, verbürge keineswegs die Existenz im eigentlichen Sinne, sondern nur als etwas Gegebenes. Gegebenes existiere aber nicht, weil es im Augenblick des Gegebenseins keinen Ort und keine Zeit habe. Man sei nicht als die Person, die denkt, als Subjekt des Denkens, sondern wenn überhaupt, immer nur als Gedachtes, als Objekt des Denkens gegeben. Vielleicht existiere man, meint Santayana, aber das könne man nicht wissen. Es könnte sein, dass alle Existenzen geträumte sind. Dass alles geistige Leben eine Simulation ist, man in einer virtuellen, illusorischen Welt lebt. Das eigene Bewusstsein könnte absolutes Bewusstsein sein, das einen denkt. Könne man diese Möglichkeit mit Sicherheit ausschließen, wenn ja mit welcher Begründung?
Wir geben nur ein kurzes Gastspiel und es wird in ferner Zukunft so sein, als hätte es uns nie gegeben wie hinsichtlich verschwundener anderer Arten auch. Manche Philosophen meinen, dass selbst der Untergang unseres Sonnensystems im Universum nicht einmal ein Wimpernzucken bewirken würde. Dennoch halten wir uns überheblich für das Zentrum der Welt, für die Krone der Schöpfung.
Tatsächlich aber, so die Ansicht von Friedrich August Nietzsche (1844–1900), beruhe unser Hochmut auf einer Illusion, einem Missverständnis. Denn die Funktion unseres Verstandes bestehe nicht darin, die Wahrheit zu erkennen. Weder brauchen wir die Wahrheit, um zu überleben und uns in der Welt zurechtzufinden, noch ist sie uns überhaupt zugänglich. Unsere Sinne vermitteln keinen wirklichen Eindruck dessen, was um uns herum tatsächlich passiert. Das was wir wahrnehmen, ist nichts als eine Übersetzung von Nervenreizen in Bilder. Dies sei aber kein Aufschluss über die Dinge selbst. Die Gesetzlichkeit der Naturereignisse ist nichts, was man an ihnen selbst ablesen kann. Naturgesetze sind letztlich nichts anderes als Denkgesetze oder nur als Denkgesetze verständlich. Wahre Erkenntnis ist so nicht möglich.
In unserem Gehirn ist es dunkel und still. Unsere Wirklichkeit hingegen, sofern man nicht blind oder taub ist, ist voller Licht und Farbe, Geräusche und Töne. So ist zu vermuten, dass dieser Kosmos, gäbe es keine Organe wie Augen oder Ohren, stockfinster sein müsste. Die Farben und Töne, selbst unser Weltbild, sind individuelle Rekonstruktionen, jedoch mit Mitteln, die aus der Welt selbst stammen. Farben und Töne stehen stellvertretend für elektromagnetische und materielle Wellenlängen und Quanteneffekte.
Gefühle und Gedanken sind mentale Zustände, wogegen die zerebralen Steuerungsvorgänge als physische Ereignisse aufzufassen sind. Die Vorgänge im Gehirn sind uns genauso verborgen, wie jene im Blut, in der Niere, Leber oder Galle, im Verdauungstrakt, wie der gesamte Stoffwechsel. Gehirnzustände oder Stresshormone wiederum sind keine mentalen Zustände. Es ist nicht möglich, durch diese zu erklären, was Gedanken, Schmerzen, Wünsche oder Ängste eigentlich sind. Wenn ein bestimmter Gedanke zur gleichen Zeit wie ein bestimmtes Molekulargeschehen im Gehirn auftaucht, verfügen wir nicht ansatzweise über ein Mittel, das uns befähigen würde, mit Hilfe eines Denkvorganges vom einen – also dem bestimmten Gedanken – zum anderen, also dem bestimmten Molekularvorgang zu gelangen.
Seit dem vom griechischen Philosophen Plato (ca.428 – ca.347 v. u. Z.) entwickelten Reich der Ideen, existieren die Dispute über die Einheit oder Getrenntheit oder die Dominanz von Geist oder Materie im ganzen Geschehen.
Seit Descartes, der den strengen Dualismus von Materie und Geist entwickelte, vollzog sich eine geistesgeschichtliche Weichenstellung, die zum Teil bis in die Gegenwart bestimmend blieb.
Die Idealisten, die als schöpferischen Urgrund geistig Seiendes als wesentlich ansehen, meinen, dass die Überzeugung der Materialisten, in einer stofflichen Welt und von dieser das Geistige hervorbringenden Welt zu leben, grundfalsch ist. Die Materialisten hingegen vertreten jedoch entschieden die Auffassung, dass es nichts anderes gibt als materielle, physikalischen Gesetzen unterworfene Vorgänge. Selbst unser Bewusstsein, alle unsere Wahrnehmungen, Vorstellungen, geistigen Inhalte und Gefühle, sind ein materieller (Hirn) Prozess. Es ist aber unklar, wie aus neuronalen Prozessen die Bedeutung von Gedanken entsteht. Es gibt kein schlüssiges Modell, das erklärt, wie physiologische und geistige Prozesse zusammenhängen.
De La Mettrie (1709–1751) war der Erste, der die Aporien, in die der cartesische Dualismus ebenso wie der psycho-physische Parallelismus führen, durch den materialistischen Monismus, heutzutage weitgehend von Naturwissenschaft und Philosophie vertreten, auflöste.
Alle seelischen Regungen haben eine physiologische Ursache. Der „tote“ Stoff sei nicht nur Seinsgrund des Lebendigen, sondern auch des menschlichen Geistes.
Alles Lebendige – auch der Mensch – ist ein Komplex von Zellen und Organen. Dieser Komplex wird durch Makromoleküle wie die Desoxyribonukleinsäure (DNA), mit deren Informierungs-und Codierungs-Abschnitten (= Gene) und Eiweißketten aufgebaut. Jene wiederum aus Atomen, schwingenden Elementarteilchen mit erstaunlichen Eigenschaften. Das Ganze wiederum ist keineswegs wie eine bloße Aufsummierung zu verstehen, es ist ein erstaunliches Mehr. Alles erscheint, naturwissenschaftlich besehen, wie ein universeller Quantencode, als ein nichtmaterielles und materielles Energie- und Kräfteensemble zugleich.
Im Grunde gelangen die Wissenschaften aber konkret nicht weiter als bis zur Feststellung bestimmter physikalischer, chemischer oder biochemischer Kausalitäten, deterministischer Abhängigkeiten, die sich letztlich auf der Quantenebene offenbar verflüchtigen und damit unangreifbar werden. Da hilft auch der häufig kreierte Begriff Information, die allem Geschehen innewohnt, zur Erklärung nicht weiter. Ist er doch, wie jeder unserer Begriffe, ein Produkt des Denkens. Diesen Begriff zum Grund von allem und das Denken zu einer Funktion von Information zu machen, führt in den logischen Zirkel, wo der Begriff zum Ursprung seiner selbst wird und das Verstehen somit aufhört.
In einer der nächsten Ausgaben soll in ähnlicher Weise von einem philosophischen Kaleidoskop die Rede sein.