Von Harald Saggener
Mit Hans Dichand starb am 17. Juni 89-jährig der größte Journalist, den Österreich je hervorgebracht hat. Sein Leben war ungemein reich und – wenn man von seinem nicht erreichten letzten großen Ziel, endlich Alleininhaber seiner Zeitung zu werden, absieht – ausgefüllt, wie es vollkommener kaum hätte sein können.
Am 24. Jänner 1921 trafen die alliierten Siegermächte des Ersten Weltkriegs in Paris zusammen, um die Höhe der deutschen Reparationen festzulegen. Das Deutsche Reich wurde zur Zahlung der astronomischen Summe von 226 Milliarden Goldmark verpflichtet. Der Beschluss der „Pariser Konferenz“ löste in Deutschland Empörung und Entsetzen aus, die Berliner Reichsregierung nannte die Forderung unerfüllbar, und die europäische Geschichte erlebte eine Weichenstellung, wie sie unheilvoller nicht sein hätte können.
Zwei Tage später, am 26. Jänner, brachte Leopoldine Dichand, Hausdame bei einer steirischen Gräfin, in Graz einen Buben namens Hans zur Welt. Vater des Kindes war der in der Schuhfabrik Humanic beschäftigte Werkmeister Johann Dichand. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, welches Mediengenie mit dem Kind geboren war.
Die ersten Lebensjahre brachte Hans Dichand in der Villa Stiftinghof bei Graz zu. Vater Dichand machte sich im falschen Augenblick als Schuhoberteil-Zuschneider selbständig: 1929 kam es zum Börsenkrach, der die Weltwirtschaftskrise auslöste und auch den Betriebsgründer Dichand senior mit in die Armut riss. Die Familie musste in eine Arme-Leute-Baracke in den Grazer Murauen ziehen, im Volksmund Affentürkei genannt. Hans Dichand holte sich sein Kinderspielzeug aus dem städtischen Müll, den Pferdefuhrwerke damals in die Mur kippten.
1935, also 14jährig, bewarb er sich bei der damaligen Kronenzeitung (sie kostete zur Gründungszeit eine Krone, heute beträgt ihr Preis einen Euro), die seit 1900 erschien und 1944 eingestellt werden sollte, als Journalist – das war seit jeher sein Traumberuf. Auf Empfehlung des Chefredakteurs erlernte Dichand aber erst das Schriftsetzerhandwerk und holte die Matura in der Abendschule nach.
1940 meldete sich Dichand freiwillig zur Kriegsmarine. Er kam auf das Transportschiff Leverkusen, das im Mittelmeer durch britische Torpedos versenkt wurde. Der Matrose Dichand sprang von Bord, wurde in den Laderaum des untergehenden Schiffes gesogen und schließlich durch ein Torpedoleck wieder „ausgespuckt“. Dichand überlebte schwer verwundet und geriet bis 1945 in Kriegsgefangenschaft. Nach Graz zurückgekehrt, wurde Dichand, nachdem er bei den Besatzungstruppen Englisch gelernt hatte, Redakteur beim Britischen Nachrichtendienst. Dort stenografierten Sekretärinnen Meldungen mit, die westliche Radiosender wie die BBC ausstrahlten. Dichand redigierte diese Texte für das damals einzige auf dem Markt befindliche Blatt, die von ÖVP, SPÖ und KPÖ gemeinsam herausgegebene „Neue Steirische Zeitung“. In seinen Erinnerungen hielt Dichand fest, dass diese Meldungen nichts Nachteiliges über die Besatzungsmächte enthalten durften. Auch die umfangreichen von den Sowjets vorgenommenen Demontagen ganzer Betriebe musste den Steirern verschwiegen werden, was Dichand „zutiefst ärgerte.“ Die britischen Besatzer erkannten Dichands journalistisches Talent bald und machten ihn zum Chefredakteur der „Murtaler Zeitung“, deren Auflage er exorbitant steigerte. Als die Zeitung ihren ursprünglichen Besitzern zurückgegeben wurde, musste Dichand gehen. Nach einer kurzen Zeit beim Grazer „Steirerblatt“ übersiedelte er nach Wien zur „Neuen Wiener Zeitung“. 1948 sah er seine Chance bei der vor der Neugründung stehenden „Kleinen Zeitung“ und bewarb sich als Chefredakteur. Styria-Generaldirektor Dr. Karl Maria Stepan, bis 1938 steirischer Landeshauptmann und dann mehrere Jahre im KZ Dachau eingesessen, lud Dichand zu einem Gespräch vor versammelter Styria-Führung ein. Die Herren waren bedrückt, weil sie gerade erfahren hatten, dass die APA (Austria Presseagentur) an die Kleine Zeitung keine Agenturmeldungen zu liefern bereit war. „So werden wir leider nicht erscheinen können, denn eine Zeitung ohne Nachrichtendienst gibt es nicht“, sagte Stepan. Dichand in seinen Memoiren: „Das waren Sekunden von existenzieller Bedeutung für mich. Ich wusste ja die Lösung des Problems.“ Dichand verblüffte tatsächlich die Manager mit der Erklärung, er könne die Zeitung ohne APA machen und brauche nur einige tüchtige Stenotypistinnen zum Abtippen von Radiomeldungen. Daraufhin wurde Dichand Chefredakteur der Kleinen Zeitung, die unter ihm einen sensationellen Auflagen-Höhenflug erlebte. Übrigens kam und kommt später auch die Kronenzeitung ohne APA aus.
Der Autor dieses Beitrags, in den 70erjahren selbst Redakteur bei der Kleinen Zeitung, erinnert sich an die Gespräche mit damals alten Redakteuren, die erzählten, dass Dichand mit der von den Eigentümern geforderten katholischen Blattlinie nicht klar kam und 1954 einem Ruf des Mühlenbesitzers Ludwig Polsterer an die Spitze des „Kurier“ folgte. Mit seiner genialen Kombination aus Polizeiberichterstattung, Kochrezept, Populärem und Politik machte Dichand auch den Kurier erfolgreich. Die älteren ihm untergebenen Redakteure murrten – vergeblich – über Dichands versöhnlichen Kurs gegenüber ehemaligen Nazis. Nach einem Zerwürfnis mit Polsterer – der Mühlenkönig weigerte sich, Dichands Forderung nach 7.000 Schilling Monatsgehalt plus Gewinnbeteiligung zu erfüllen – gründete Dichand zusammen mit dem früheren Persil-Buchhalter Kurt Falk und einer Handvoll bei ihm verbliebener Kurier-Getreuer die Neue Kronenzeitung. Mit Hilfe von Gewerkschaftskrediten, vermittelt durch den ÖGB-Präsidenten und späteren Innenminister Franz Olah, erschien das Kleinformat erstmals am 11. April 1959 (Vgl. zu Franz Olah Genius-Brief Oktober 2009, Lesestück Nr. 4). Anfang der Sechzigerjahre wollte der Verleger Fritz Molden die Kronenzeitung kaufen, erhielt aber, wie kolportiert wird, von der Creditanstalt nicht den dafür benötigten Kredit. Zu Dichands Glück.
Bald wurde die Kronenzeitung Österreichs größte Tageszeitung, was dem eingefleischten Steirer Hans Dichand aber nicht reichte: Er wollte auch die größte Tageszeitung der Steiermark herausgeben und den Herren vom Katholischen Pressverein der Diözese Graz-Seckau zeigen, welchen Fehler sie gemacht hatten, als ihn einst die Kleine Zeitung nicht nach seinem Willen führen ließen.
Als sich Dichands Pläne zur Gründung der Steirerkrone in der weißgrünen Medienbranche herumsprachen, ahnte das lokale Medien-Establishment Böses. Wie sich bald herausstellen sollte: Zu Recht. Die Herausgeber der damaligen steirischen Tageszeitungen – dies waren neben der „katholischen“ Kleinen Zeitung das ÖVP-Blatt „Südost-Tagespost“, die sozialistische „Neue Zeit“ und die kommunistische „Wahrheit“ – ließen alle ihre redaktionellen Mitarbeiter unmissverständlich wissen, dass es für jene Journalisten, die ein Angebot Dichands annahmen und allenfalls später in der Kronenzeitung scheiterten, absolut keinen Weg zurück zu einer der etablierten „Kartell“-Zeitungen geben könne. Den steirischen Reportern wurde prophezeit, dass sie von den beiden „Unmenschen“ Dichand und Falk über kurz oder lang auf die Straße gesetzt würden, dass aber für Abtrünnige zumindest in der Steiermark künftig keine Existenzmöglichkeit mehr bestehe. Allerdings lockte Dichand mit sehr guten Anstellungsverträgen. Von arrivierten Redakteuren war zu hören, dass sie, wenn sie zu Dichand wechselten, neben einem tollen Vertrag auch fünfstellige Summen in bar als „Handgeld“ erhielten. In der Regel empfing Dichand die Steirerkrone-Kandidaten zum Arbeitsvertragsabschluss mit ausgesuchter Höflichkeit und in geradezu kollegialer Atmosphäre in seinem bescheidenen Büro im 16. Stock des Pressehauses in der Wiener Muthgasse. Er erörterte mit ihnen ganz offen seine Ziele. Viele – vor allem junge – Reporter und Redakteure ließen sich von Dichand abwerben und bereuten es nicht. Wenige, darunter auch der Autor dieses Beitrages, ließ sich von den kolportierten Horrorgeschichten der Anti-Dichand-Medien-Allianz einschüchtern – und bereuten dies später. Freilich war Dichand so konsequent, jenen Aspiranten, die sein Angebot einmal ausschlugen, die Krone-Tür für immer zu verschließen.
In der ersten Ausgabe der Steirerkrone stellte Dichand sich selbst und sein Redakteursteam in Wort und Bild vor. Die Mannschaft bestand ausschließlich aus steirischen Journalistinnen und Journalisten. Einige Seiten weiter hinten ging er „zum Vergleich“ auf das Team der Kleinen Zeitung ein, das zu einem beträchtlichen Teil aus Nicht-Steirern, speziell Wienern, bestand. Damit entlarvte er nicht ohne Ironie den Lokalchauvinismus der Kleinen Zeitung, die in ihrer Eigenwerbung stets so sehr ihren „ursteirischen“ Charakter betonte, als unwahr.
Den steirischen Zeitungsmarkt eroberte Dichand von der Mur-Mürz-Furche aus, beginnend mit Städten wie Bruck, Kapfenberg, Leoben, Mürzzuschlag und Liezen. Zur Steirerkrone wurde jeden Morgen auch gleich ein frisches Kipferl im Nylonsackerl an die Türschnallen der Abonnenten gehängt. Bald hatte Dichand in Leoben, der zweitgrößten Stadt der Steiermark, mehr Abonnenten als die Kleine Zeitung. Dichand soll darob vor Freude auf dem Tisch getanzt haben. Die seinem Partner Kurt Falk zugeschriebenen Werbestrategien der Steirerkrone verschafften dem neuen Kleinformat den endgültigen Durchbruch: Immer wieder wurden im Rahmen von Preisausschreiben ganze Einfamilienhäuser verlost – der Slogan hieß: Die Steirerkrone sei eben „um Häuser besser“. Die von der Kleinen Zeitung angestrengten Wettbewerbsklagen sind Legion.
Bundesweit kletterte die Auflage der Kronenzeitung ohnehin in ungeahnte Höhen. Aber auch Dichands heimlicher Revanche-Wunsch ging in Erfüllung: Die Steirerkrone eroberte, zumindest zeitweise, vor der Kleinen Zeitung Platz 1 in der Medienlandschaft der Grünen Mark. Interessanterweise nahmen die beiden Hauptkonkurrenten, Kleine und Krone, einander keineswegs Leser weg, sondern der Wettbewerb führte dank entsprechender Verbesserungen im redaktionellen, aber auch im Vertriebsbereich, zu signifikanten Leserzunahmen bei beiden Medien. Auf der Strecke blieben freilich die drei steirischen Parteizeitungen: Zuerst die KP-Wahrheit, dann die VP-Südost-Tagespost und zuletzt die SP-Neue-Zeit.
Dichand reüssierte auch in den meisten anderen Bundesländern, vor allem in Oberösterreich, Kärnten und Tirol, wo die Krone seit 1992 dem bisher monopolistischen „Platzhirschen“ Tiroler Tageszeitung immer wieder großes Kopfzerbrechen verursacht, insbesondere durch die gut gemachte und verlässlich bis ins hinterste Tal distribuierte Sonntagsausgabe. Wiederholt sprach Dichand über seinen Traum einer eigenen Südtirol-Krone. Zum Markteintritt wollte er bloß einen günstigen Moment abwarten, der sich aber nicht ergeben sollte.
Lediglich in Vorarlberg schlugen Versuche, sich neben den Vorarlberger Nachrichten und der Neuen Vorarlberger Tageszeitung zu etablieren, fehl. In den Couloirs des Ländle-Medienhauses amüsierte man sich darüber, dass die alemannisch-separatistisch geprägten Vorarlberger die aus dem verhassten Wien gelieferte Krone nicht einmal den Selbstverkaufsgeräten, branchenintern mit dem aus Deutschland importierten Namen „Klau-Beutel“ gepunzt, gratis entnahmen. Offenbar war in dem kleinen Bundesland auch kein Platz für eine dritte Tageszeitung. Ein quasi halber Fuß, den Dichand durch seine offene Sympathie zum Vorarlberger Verleger des seit 1986 wöchentlich erscheinenden „Kleinen Blattes“, Rudolf Ganahl, nach Vorarlberg gesetzt hatte, wurde wieder zurückgezogen. Dichand hatte an Ganahl sogar die ihm gehörenden Titelrechte für die Wochenzeitung abgetreten. Als das Kleine Blatt 2001 in eine 55-Millionen-Schilling-Insolvenz schlitterte, soll Dichand dem Ländle-Verleger Eugen Russ einen Deal, „Kleines Blatt“ gegen „Neue Vorarlberger Tageszeitung“, offeriert haben, allerdings ohne Erfolg.
1986 trennte sich Dichand von seinem um zwölf Jahre jüngeren Geschäftspartner Kurt Falk, der seinerseits die erfolgreiche Wochenzeitung „Die ganze Woche“ und später Österreichs zeitweise zweitgrößte, aber letztlich eingestellte Tageszeitung, die bunte Gazette „Täglich alles“ (in der Branche gern verspottet als „Täglich nichts“) aus der Taufe hob. Dichand kaufte Falk sehr teuer aus der Kronenzeitung aus und brauchte aus finanziellen Gründen einen neuen Partner. Da sich im Inland keiner fand, suchte man im benachbarten deutschen Raum.
1988 legten Krone und Kurier ihre zeitungswirtschaftlichen Tätigkeiten in der Mediaprint zusammen, wobei die SPD-nahe Deutsche WAZ-Gruppe (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) Regie führte. Verstärkt wurde die marktbeherrschende Stellung der Mediaprint durch ihre Verflechtungen mit Kurier, Raiffeisen (Niederösterreichisches Pressehaus, Sat 1 Österreich) und News-Fellner-Gruppe. Die WAZ-Männer entpuppten sich für Dichand als kaum weniger unangenehm als sein Ex-Partner Falk, der übrigens 2005 starb.
Mit Zitaten wie jenem, dass er lediglich „im Vorzimmer der Macht“ sitze und „lieber seinen Hund streichle“ als Politik betreibe, spielte Dichand seinen Einfluss kokett herunter. In Wahrheit bestimmte Dichand jahrzehntelang – nicht zuletzt durch spektakuläre Kampagnen – die österreichische Politik wesentlich mit. Abwechselnd stand er mal auf grüner, mal auf freiheitlicher, mal auf sozialistischer und mal auf ÖVP-Seite. Da er keinem Lager verpflichtet war, konnte er nach seinem persönlichen Gewissen agieren und tat das auch. In Erinnerung bleiben die Anti-EU-Kampagne, der Hainburg-Feldzug, die Waldheim-Präsidentenwahl-Unterstützung und die für viele nicht ganz nachvollziehbare Wahlunterstützung des EU-Abgeordneten Dr. Hans Peter Martin. Nur ein einziges Mal ruderte Dichand zurück, als er heuer die anfänglichen medialen Sympathien für die freiheitliche Präsidentschaftskandidatin Barbara Rosenkranz Knall auf Fall „stornierte“. Dem Platzhirsch-Kandidaten Dr. Heinz Fischer leistete er ergänzend dazu insofern Wahlhilfe, als – wohl berechtigte – fischerkritische Leserbriefe in seinem Blatt nicht erschienen.
Mit eine Rolle bei der waldheimfreundlichen Position der Kronenzeitung spielte möglicherweise die Nachbarschaft Dichands zum damaligen UNO-Generalsekretär und späteren österreichischen Bundespräsidenten Dr. Kurt Waldheim am Ufer des Attersees in Nussdorf, wo der passionierte Segler Dichand Zaun an Zaun mit Waldheim eine Villa besaß. In Wiener UNO-Kreisen erzählte man sich damals übrigens, dass der Haussegen zwischen den Dichands und den Waldheims zeitweilig etwas getrübt war. Dichands schöne junge Tochter Johanna pflegte nämlich, so hieß es, am Ufer des Attersees nackt Sonnenbäder zu nehmen, denen einer der Waldheim-Söhne besondere Aufmerksamkeit zollte. Die Waldheim-Eltern hätten um die Sittlichkeit ihres Sohnes gebangt und den Herrn Nachbarn Dichand ersucht, doch bitteschön auf seine Tochter einzuwirken, nicht so provozierend in der Sonne zu liegen. Dichand habe aber seine Tochter gewähren lassen und erklärt, es liege am Waldheim-Sprössling, nicht so neugierig über den Zaun zu schauen . . .
Der Neid und/oder Hass einzelner Herausgeber und Chefredakteure gewisser, weit weniger erfolgreicher Printmedien, aber auch maßgeblicher ORF-Journalisten, auf die erfolgreiche Selfmademan-Legende Dichand kannte oft keine Grenzen und dauert über Dichands Tod hinaus. Trotz liebevoller, manchmal beinahe übertrieben wirkender medialer Pflege von jüdischer bzw. jüdisch verwurzelter Prominenz in der Kronenzeitung, von Bundeskanzler Bruno Kreisky über Jerusalems Bürgermeister Teddy Kollek und Rudolf Scholten bis zu Christoph Schönborn und Daniel Barenboim, von Fritz Muliar über Otto Schenk und Arik Brauer bis zu Leonard Cohen – freilich bei gleichzeitiger kritischer Distanz zu Simon Wiesenthal, Paul Grosz, Ariel Muzicant oder Elfriede Jelinek – blieb Dichand nicht verschont von lächerlichen Antisemitismus-Vorwürfen gegen die Krone, für dessen bekanntesten die Krone-Institution Richard Nimmerrichter („Staberl“) verantwortlich war. Staberl, der seine Kolumne von 1964 bis 2001 ganze 37 Jahre lang, von nur zwei Ausnahmen abgesehen, täglich publizierte und es auf 58 Medien-Vorstrafen brachte, hatte den New-York-Times-Journalisten Abraham Rosenthal einmal bei seinem richtigen Namen genannt, den Namen aber dann auch zu „Rosenbaum“ und „Rosenberg“ variiert. Darin sah eine Wiener Richterin 2004 eine „klassische Methode, antisemitische Emotionen auszudrücken.“ Besonders der linke „Standard“ jubelte über das Urteil, denn er konnte fortan das Konkurrenzmedium ungestraft in die Nazi-Ecke stellen.
Die Krone-Blattlinie wurde, wie – seit jeher und auch noch über seinen Tod hinaus im Impressum zu lesen ist – durch „die Vielfalt der Meinungen ihres Herausgebers und der Redakteure“ definiert. Hartnäckig kolportiert wird, dass Dichand nicht nur die Auswahl der Leserbriefe bis zuletzt allein traf, sondern auch das tägliche erotische Schmuckbild („die Seite-5-Nackte“) persönlich aus dem Angebot der einschlägigen Bildagenturen aussuchte.
Nichtsdestoweniger ist der Erfolg des weltweit einzigartigen Boulevardblattes wohl hauptsächlich seinen gut ausgewählten redaktionellen Stützen zu verdanken, von denen nur einige genannt seien: Ernst Trost, Georg Wailand, „Telemax“ Robert Löffler, Prof. Reinald Hübl, der „In-den-Wind-gereimt“-Dichter Wolf Martin, „Adabei“ Roman Schliesser (1966–1993), Sexberaterin Prof. Dr. Gerti Senger, Michael Jeannée, Marga Swoboda, die Prüller-Brüder Heinz und Walther und der mit Dichands steirischem Landsmann Arnold Schwarzenegger persönlich befreundete Abenteuer-Journalist Werner Kopacka.
Der Döblinger Notar Ulrich Klimscha soll sich in den nächsten Monaten um den Nachlass des alten Herrn, der im Beisein seiner Angehörigen im Wiener AKH an Nierenversagen starb und in seinem schon lange zu Lebzeiten ausgesuchten Grab am Grinzinger Friedhof bestattet ist, kümmern. Der Medienzar hinterlässt nicht nur den Hälfteanteil an der größten Tageszeitung Österreichs, sondern auch eine wertvolle Kunstsammlung und mehr als ein Dutzend Immobilien. Das Vermögen wird vom Magazin „Format“ auf mehr als 500 Millionen Euro geschätzt. An erster Stelle der Erben steht Dichands 73-jährige Gattin Helga, gefolgt von den Kindern Michael, Johanna und Christoph. Sie alle soll der Patriarch im Testament bedacht haben. In den „Krone“-Syndikatsverträgen mit dem deutschen Medienriesen WAZ, dem die anderen 50 Prozent der „Krone“ gehören, soll geschrieben stehen, dass mit dem Tod Dichands dessen fixer „Vorweggewinn“ von zuletzt 708.000 Euro im Monat gestrichen wird. Doch zahlen muss die WAZ voraussichtlich auch weiterhin. Anstelle der Vorschussdividende tritt offenbar eine ergebnisabhängige „Mindestgarantie“ ein, die zwischen 1,5 und 3 Prozent des Gruppenumsatzes liegen und der Erbgemeinschaft aktuell rund fünf Millionen Euro Cash im Jahr sichern soll. Zahlungen aus der „Mindestgarantie“-Klausel erfolgen monatlich und dürfen frühestens im Jahr 2017 eingestellt werden, soll im 1987 paktierten WAZ-Kontrakt stehen.
Derzeit agiert der 45jährige Sohn Christoph als Dichands Nachfolger im Boulevardblatt, das zu den 50 größten Tageszeitungen weltweit zählt. Gemessen an der Einwohnerzahl liegt die Krone sogar noch weiter vorne: Mit knapp drei Millionen Lesern bei einer Bevölkerungszahl von etwa acht Millionen ist die Auflage von rund 800.000 Exemplaren spitzenplatzverdächtig. Zum Vergleich: Die japanische Yomiuri Shimbun hat bei 127 Millionen Einwohnern eine Auflage von 14 Millionen. Im 35.000 Einwohner zählenden Fürstentum kommt das „Liechtensteiner Vaterland“ auf ca. 10.000 Auflage. Bei der Gründung der Dichand-Medienbeteiligungs-GmbH (DMG) im Juni des Vorjahres wies Dichand seinem Filius eine Sonderstellung unter den DMG-Gesellschaftern als Alleingeschäftsführer zu. Die Personalie ist beachtenswert, weil die DMG künftig die 50 Prozent an der „Krone“ (Schätzwert: 160 bis 200 Millionen Euro) sowie die Beteiligung am Radiosender „Krone Hit“ halten wird. Helga, Johanna und Michael Dichand sollen sich darauf geeinigt haben, ihre geerbten „Krone“-Anteile in die DMG einzubringen und Christoph als Familiensprecher gegenüber der WAZ einzusetzen. Seinen ersten Auftritt in seiner neuen Rolle hatte Christoph Dichand am 14. Juli im Rahmen der Gesellschafterausschusstagung. Dort soll er auch das Angebot an die WAZ, die „Krone“-Anteile zurückzukaufen, erneuert haben.
Sowohl die Raiffeisen-Gruppe unter Dr. Christian Konrad als auch ein Konsortium aus der Wiener Städtischen Versicherung und der Erste-Group haben den Dichands bereits mehrfach signalisiert, als Partner bei dem Deal zur Verfügung zu stehen.
Die 46-jährige Dichand-Tochter Johanna empfindet sich als legitime Erbin der kolossalen Kunstsammlung. Als frühere Leiterin der Galerie Würthle teilte sie nicht nur die Leidenschaft ihres Vaters, sondern stand ihm auch bei Kunstauktionen zur Seite. Über Jahrzehnte entstand so eine der bedeutendsten Gemälde-Kollektionen des Landes, die von Albin Egger-Lienz über Alfred Kubin bis hin zu Egon Schiele alle bedeutenden Künstler der klassischen Moderne umfasst. Die Schätzungen über den Wert der Sammlung schwanken zwischen 150 und 250 Millionen Euro. Allein das Gemälde „Danae“ (1907) von Gustav Klimt wird mit 40 Millionen Euro taxiert.
Der Immobilienbesitz soll zusätzlich rund 100 Millionen Euro wert sein. Dazu gehören eine rund 15.000 Quadratmeter große Latifundie in Schrötten in der Steiermark, ein 8.000 Quadratmeter-Grund in Wien-Döbling mit mehreren Villen, ein edles Anwesen an der Costa Smeralda auf Sardinien, eine Wohnung in Paris, ein Feriendomizil in Lech am Arlberg und das erwähnte Attersee-Grundstück. Hier stehen die Dichand-Kinder zu gleichen Teilen im Grundbuch.
Da Printmedien-Auflagen allgemein und weltweit rückläufig sind und Online-Ausgaben – ungeachtet der Tatsache, dass der Durchschnittskonsument (noch) nicht bereit zu sein scheint, für elektronisch abrufbare Informationen entsprechend zu zahlen – rasant an Bedeutung gewinnen, könnte die bereits unter Dichand zum Erfolgsmodell gewordene www.krone.at künftig zu einem noch entscheidenderen Informationsfaktor im Lande werden. Vor kurzem bescheinigte die Österreichische Webanalyse (ÖWA) dem virtuellen Krone-Beiboot immerhin bereits knapp 1,5 Millionen Einzelkundenbesuche (Unique Clients), mehr als neun Millionen Seitenbesuche (Visits) und sagenhafte 133 Millionen Seitenaufrufe (Page Impressions). Sicherlich wird der Print-Ozeanriese Kronenzeitung, wenn er sich nicht auf suizidale Weise selbst abtakelt, noch viele Jahre lang ein unsinkbares und von allen Verfolgern uneinholbares Schiff bleiben. Entsprechend stark werden allerdings die Versuche von Piraten aller Art sein, nach dem Abtritt des großen alten Kapitäns von verschiedenster Seite und auf verschiedenste Weise Einfluss auf den künftigen Kurs des Mediums zu nehmen. Dass eine Zeitung, wie Hans Dichand zu Lebzeiten immer wieder betonte, lediglich Meinungstrends in der Bevölkerung verstärken oder abschwächen kann, niemals aber die Meinung im Volk gänzlich „umdrehen“ kann, sollte aber Möchtegern-Manipulatoren aller Art ein warnender Fingerzeig sein.