Von Volkmar Weiss
Seit Wochen schlagen die Diskussionen um Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ hohe Wellen. In 7. Auflage inzwischen über 600.000 Stück! Entgegen allen offiziellen Beteuerungen über herrschende Meinungsfreiheit wurde der Mann massiv unter Druck gesetzt. Diesem weichend, gab Sarrazin (SPD) seine Stellung im Vorstand der Deutschen Bundesbank „freiwillig“ auf. In der SPD diskutierte man erbittert über seinen Parteiausschluss. Die gesamte Szenerie beleuchtet grell, wie es um das Grundrecht der Meinungsfreiheit heute wirklich bestellt ist. Wir bringen hier eine Darstellung und Kommentierung der Thesen Sarrazins aus der Feder eines kompetenten Fachmannes. – Der Herausgeber
Seit rund 40 Jahren ist die Thematik, die Sarrazin aufgreift, in Deutschland tabu. Als ich 1999 für das Manuskript „Intelligenz, Sozialstruktur und Politik“ einen bundesdeutschen Verlag suchte, wagte keiner die Drucklegung. „Ich möchte doch bitte Verständnis für die Absage haben, weil ein geschäftsschädigender Sturm der Entrüstung zu befürchten sei“, schrieb mir der Cheflektor eines großen Münchener Verlagshauses. Unter dem Titel „Die IQ-Falle: Intelligenz, Sozialstruktur und Politik“ ist das Buch dann doch verlegt worden, allerdings in Österreich. Um so mehr ist der Mut von Tobias Winstel von der Deutschen Verlags-Anstalt zu loben, der Sarrazin im Mai 2008 angesprochen hat (zu lesen im Dank auf S. 409), sich in einem Buch zum Schicksal des Sozialstaats zu äußern. Der Verlag wird für sein Gespür, seine Risikobereitschaft und sein geschicktes Marketing mit einem traumhaften kaufmännischen Erfolg belohnt.
Wer wie Sarrazin die Thematik in dieser komplexen Weise anpackt, soziale und biologische Faktoren zueinander in Beziehung setzt und gar von Vererbung der Intelligenz, des IQ, zu schreiben wagt – siehe auch Peter Mersch (2007): „Hurra, wir werden Unterschicht! Zur Theorie der gesellschaftlichen Reproduktion“ – dem droht die Ächtung, die von seinen Gegnern unablässig betriebene Abdrängung in eine rechte politische Ecke, in der er sich vielleicht zuletzt noch äußern darf, wenn ihm nicht bis dahin alle Öffentlichkeit zuwider geworden ist.
Laut Friedrich A. von Hayek lässt sich der Sinn des Wortes „sozial“ als „umverteilen“ deuten, eine „Sozialistische Partei“ folglich als „Umverteilungspartei“. In den Demokratien fallen den Parteien die meisten Stimmen zu, die bei Wahlen Umverteilung versprechen. Das bringt einen verhängnisvollen Kreislauf des Niedergangs in Gang, den Sarrazin in seiner ganzen Konsequenz durchschaut und gegen den er als Stimme einer gebildeten und kritischen Minderheit Vernunftargumente vorbringt, die er mit Statistiken abgesichert hat. Sarrazin rennt dabei frontal gegen den Zeitgeist derjenigen an, die bei Wahlen mit ihrer Überzahl über Mehrheiten und damit die Regierungsmacht entscheiden.
Die etablierten Parteipolitiker, deren Wohl und Wehe von den Stimmen dieser Mehrheit und deren Zeitgeist abhängt, reagieren deshalb auf Sarrazin wie ein aufgescheuchter Hühnerschwarm, in den der Habicht gestoßen ist. Schon einzelne aus dem Zusammenhang gerissene Sätze in den Vorabdrucken glaubten sie verurteilen zu müssen. Dabei hätten sie das Buch erst einmal lesen sollen! Es ist nämlich ausgesprochen gut und mit Biss geschrieben. Dem Lektorat und der Ehefrau des Verfassers, einer Lehrerin, die gegengelesen haben, ist fast kein Fehler durchgegangen.
Nach den Vorveröffentlichungen hatte ich befürchtet, ein polemisches Buch ohne Quellennachweise in die Hand zu bekommen, so wie das bei Sachbüchern oft der Fall ist, die Bestsellerlisten anführen. Nein: Die Quellennachweise stimmen; die zahlreichen Tabellen und Abbildungen sind alle mit Quellennachweisen versehen, so wie es sich für einen Wissenschafter gehört (und der war Sarrazin vor seiner Einstellung bei einer SPD-Stiftung). Ein Sachregister und ein Personenregister sind angefügt.
Das Buch ist in neun Kapitel gegliedert, plus Einleitung, Dank und 50 Druckseiten Anhang (die Anmerkungen mit den Quellen, die Register und ein Tabellenanhang mit Bevölkerungs-vorausberechnungen). Verzeichnisse für die 36 Tabellen und 10 Schaubilder im laufenden Text fehlen leider.
Sarrazins Einleitung, S. 11: „Ich stütze mich in meinen Ausführungen auf empirische Erhebungen, argumentiere aber direkt und schnörkellos. … Deutschland ist, wirtschaftlich gesehen, in der Spätphase eines goldenen Zeitalters, das … langsam zu Ende geht. Das Realeinkommen des einzelnen Erwerbstätigen steigt schon seit 20 Jahren nicht mehr, spätestens in 10 Jahren wird es sinken und das wird … ein nachhaltiger Trend sein.“
Kapitel 1, Staat und Gesellschaft, auf zwölf Seiten ein historischer Parforceritt vom alten Ägypten bis zur Gegenwart, ohne groben inhaltlichen Fehler. S. 34 die richtige Schlussfolgerung: „Alle Untersuchungen zeigen, dass Volkswirtschaften, Gesellschaften und Staaten umso erfolgreicher sind, je fleißiger, gebildeter, unternehmerischer und intelligenter eine Bevölkerung ist. Deutschland stand auf der Erfolgsleiter immer ziemlich weit oben.“ Stand!
In Kapitel 2, Ein Blick in die Zukunft, geht es um Arbeitsproduktivität und Wirtschaftskraft im Allgemeinen. S. 43: „Wenn die Zahl der Erwerbspersonen schrumpft, lässt sich das Wirtschaftswachstum ausschließlich durch eine höhere Arbeitsproduktivität pro Stunde erreichen.“ Dieser Zuwachs hat sich jedoch in Deutschland stark verringert.
Das Kapitel 3, Zeichen des Verfalls, eine Bestandsaufnahme, steht unter dem Hamlet-Motto: „Etwas ist faul im Staate Dänemark“. S. 51: „Selbst wenn wir gut sind und bleiben, wird es schwieriger, denn die anderen werden besser und vor allem zahlreicher.“ Zum ersten Mal kommt Sarrazin dann auf den Punkt mit der Statistik der Hochschulabsolventen in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), S. 52: „Die Gruppe, die den eigentlichen technischen Fortschritt vorantreibt, die für Richtung und Umfang technischer Innovationen bestimmend ist.“
In diesen Fächern gibt es Rückgänge in der Zahl erfolgreicher Absolventen, insbesondere bei den Ingenieuren, absolut und relativ zum Ausland, insbesondere zu China. Auf den 50 Seiten dieses Kapitels werden dann die für die folgenden Argumente des Buches grundlegenden Zusammenhänge zwischen Migrationshintergrund, Intelligenz, Schulleistungen, Ergebnisse in PISA-Tests, Unterschichtzugehörigkeit, Armut und den sozialen Unterschieden in der Kinderzahl dargelegt und statistisch belegt, ohne sachlogische Fehler.
Kapitel 4, Armut und Ungleichheit, S. 123: „Nicht die materielle, sondern die geistige und moralische Armut ist das Problem“, demzufolge man auch nicht aus der materiellen herauskommt. Der frühere Berliner Finanzminister schüttet sein Wissen über die Praxis der sozialstaatlichen Umverteilung über die Leser aus.
Kapitel 5, Arbeit und Politik, noch ein sachkundiger Rundblick, der kaum Widerspruch auslösen dürfte.
In Kapitel 6, Bildung und Gerechtigkeit, das vom gesunden Menschenverstand diktiert ist, setzt Sarrazin mit seiner Argumentation die ersten Glanzpunkte. Das muss man sorgfältig Zeile für Zeile lesen (ebenso die Kapitel 7 und 8)! Man kann hier nur Kostproben zitieren, wie z. B. auf S. 188 f.: „Mit angeborenen Begabungsunterschieden möchten viele Bildungsoptimisten sich nicht abfinden, vielmehr wünschen sie ein egalitäres Schulsystem, das zu möglichst egalitären Ergebnissen führt. … Den Verfechtern der Gesamtschule muss klar sein, dass die optimale Förderung eines jeden Schülers nicht zu mehr Gleichheit, sondern zu mehr Ungleichheit führt. Denn je größer die Chancengerechtigkeit, desto mehr schlagen die Gene durch.“ Die eingestreuten Erinnerungen an seinen persönlichen Bildungsweg (S. 192 f.) bringen einem den Verfasser menschlich näher. Er war schon in der Schule kein Musterknabe.
Auf S. 213 geht er auf die Umrechnung bzw. Äquivalenz von PISA-Testergebnissen mit IQ-Tests ein, wie sie von Siegfried Lehrl, Heiner Rindermann und Volkmar Weiss belegt worden ist. – S. 221: „Durchschnittlich lernen die Kinder in einem Land umso weniger, je höher der Gymnasialanteil ist.“ In Berlin hatte Sarrazin als Finanzsenator weitere Mittel für Bildung mit dem Hinweis abgelehnt, dass Berlin bereits unter den Bundesländern die beste Finanzausstattung der Schulen hat und die wenigsten Schüler pro Lehrer, aber zusammen mit Bremen und Hamburg die schlechtesten PISA-Ergebnisse. Und warum ist das so, begann er schon als Finanzsenator zu fragen?
Seine Ausführungen über Soziale Mobilität (S. 226 ff.) übertreffen in Sachverstand und Einsichten all das, was die etablierte Soziologie, eingesperrt in die Denkschablonen der egalitären Ideologie, heutzutage für richtig hält bzw. laut sagen darf.
Anhand der Schulbuchsammlung seiner Frau kann Sarrazin nachweisen (S. 194 ff.), wie die Anforderungen in den ersten Schuljahren an elementare Kenntnisse in Lesen und Rechnen in den letzten Jahrzehnten gesunken sind. Das setzt sich fort in den Schwierigkeiten der Industrie, geeignete Lehrlinge für bestimmte Facharbeiterberufe zu finden. Aber es ist noch viel schlimmer: Es lässt sich sogar nachweisen, dass Hochschullehrbücher über Differentielle Psychologie, also über Intelligenz und IQ, im Durchschnitt in den letzten Jahrzehnten immer einfältiger und dümmer geschrieben geworden sind. So komplex, wie Sarrazin die Probleme nennt und analysiert, darf das niemand, der nur die geringste Chance haben will, als Professor auf einen Lehrstuhl der Psychologie, Soziologie, Genetik oder Politik berufen zu werden. Und für die, die schon berufen sind und vielleicht insgeheim Sarrazin zustimmen, wäre es ihr berufliches Ende, wenn sie ihre Meinung ohne wesentliche Vorbehalte und Einschränkungen öffentlich äußern würden. Oder man gibt bei Rückfragen der Massenmedien vor Schreck wirres Zeug von sich, wie z. B. die von Sarrazin zitierte Elsbeth Stern. Die sich vorsichtig positiv äußern, sind schon so um die 65 Jahre alt.
Zweifellos ein schweres Manko in der Sarrazinschen Argumentationskette ist das Fehlen von molekulargenetischen Beweisen für die Vererbung von Hochbegabung. Wie könnte es aber auch anders sein? Seit Jahrzehnten sind zwar die hohe Verwandtenkorrelation und die Aufspaltung des IQ in den Familien in Einklang mit den Mendelschen Gesetzen bekannt, ein Antrag auf die molekulargenetische Erforschung dieser Zusammenhänge hat aber keinerlei Erfolgschance, genehmigt zu werden. Weltweit kommt auf etwa 200 Studien zur Genetik der Schizophrenie eine zur möglichen Genetik der Allgemeinen Intelligenz. Während man bei extrem seltenen, aber eindeutig vererbten Schwachsinnsformen mit hohen Kosten die Blutsverwandten in den entferntesten Winkeln dieser Welt aufspürt und untersucht, darf vor unserer Haustür niemand an analoge molekulargenetische Untersuchungen bei Familien und in Verwandtenkreisen, in denen mehrere Hochbegabte in den MINT-Berufen vorkommen, auch nur denken, geschweige denn durch Stiftungen finanzieren. Dennoch ist zu hoffen, dass früher oder später auch Ergebnisse zur Genetik des IQ im Normalbereich vorliegen werden, vielleicht als unbeabsichtigtes Nebenprodukt medizinischer Forschungen über Lese-Rechtschreib-Schwäche, Alzheimer oder Zappelphilipp-Syndrom (ADHD), bei denen man auch eine Vergleichsgruppe untersucht. Vor kurzem wurde in China aus dem Nationalinstitut für Genetik über geplante Forschungen zur Genetik des IQ berichtet. (Persönlich halte ich diese Meldung aber eher für einen Versuchsballon des chinesischen Geheimdienstes, der erfahren will, ob daran in den Demokratien insgeheim gedacht wird.)
Warum ist Sarrazin eigentlich Sozialdemokrat, wird heute viel gefragt? Auf S. 231 f. gibt er mit seinen Reformvorschlägen für das Bildungswesen die Antwort: U. a. Krippenbesuch, Pflicht-Kita-Besuch, Ganztagsschule, Pflicht-Hausaufgabenbetreuung, Schuluniformen. Das ist alles nicht originell, und all das wird etwas kosten. Sarrazin weiß, dass Geld knapp ist und immer knapper wird. Und wenn die Umsetzung seiner Vorschläge dann doch nichts Wesentliches ändern sollte? Wir können wahrscheinlich froh sein, dass in Sarrazins Schulzeit solche Ideen noch nicht verwirklicht waren, und er im Bett Märchen lesen durfte (S. 193).
Dumm oder wenig intelligent, nur manchmal brechen die volkstümlichen Ausdrücke ungehemmt aus ihm heraus. Seitenlang verwendet er politisch korrekte Begriffe wie „bildungsnah“ und „bildungsfern“, aber er vermag seine Einsichten über Dummheit und Klugheit in dieser Welt dadurch nicht zu tarnen.
Kapitel 7, Zuwanderung und Integration. Hier standen ihm neue Statistiken und Testergebnisse zur Verfügung, auf die ich bis 1999 für die „Die IQ-Falle“ noch nicht zugreifen konnte. Die eingewanderten Muslime mit ihrem Durchschnitts-IQ unter 100 als möglicher gesellschaftlicher Sprengstoff – das ist Sarrazins brisantes Thema.
S. 279: „In Deutschland arbeiten ein Heer von Integrationsbeauftragten, Islamforschern, Soziologen, Politologen, Verbandsvertretern und eine Schar von naiven Politikern Hand in Hand und intensiv an Verharmlosung, Selbsttäuschung und Problemleugnung“, Sarrazin aber nicht.
Auf S. 287 lese ich dennoch einen Satz, dessen Sinn ich nicht verstehe und der meiner Meinung nach die Gesamtlogik des Buches durchbricht: „Der relative Misserfolg kann wohl kaum auf angeborene Fähigkeiten und Begabungen zurückgeführt werden, denn er betrifft muslimische Migranten unterschiedlicher Herkunft gleichermaßen.“ Hat ihm diesen Satz und den nächsten der Lektor hineinredigiert?
Im Kapital 8, Demografie und Bevölkerungspolitik, missachtet Sarrazin die ungeschriebenen Spielregeln der Demokratie vollends. S. 347: „Verschiebung der Bevölkerungsstruktur zu weniger intelligenten beziehungsweise bildungsfernen Schichten.“ So etwas darf man nicht einmal denken, geschweige denn Schlüsse daraus ziehen! Auf S. 375 zitiert Sarrazin gar Volkmar Weiss, der geschrieben hatte: „Anfang der siebziger Jahre erlangte eine lose Gruppe von Personen, die sich über die Zusammenhänge von IQ und Kinderzahl ernsthafte Gedanken machte, Einfluss auf die „Sozial- und Studentenpolitik der DDR“, und es gelang dieser Gruppe, eine Reihe von politischen Weichenstellungen zu veranlassen, die auf eine qualitative Bevölkerungspolitik hinausliefen, wenn auch dieser Begriff niemals gebraucht wurde und es niemals eine öffentliche Diskussion mit dieser Thematik gab. (Vielleicht ist das auch die einzige Möglichkeit – parteipolitisch übergreifender Konsens mit möglichst geringer öffentlicher Diskussion –, um auf diesem Gebiet jemals etwas in einer Demokratie zu erreichen.)“
1996 wurde in der Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft von J. Dorbritz und K. Schwarz eine Tabelle veröffentlicht, aus der abzulesen war, dass im Alter zwischen 30 und 39 Jahren (Stand 1994) in den alten Bundesländern 31 % der Frauen mit Fachschulabschluss kinderlos waren, in den neuen nur 5 %, mit Hochschulabschluss in den alten Ländern 37 %, in den neuen 8 %. Diese Tabelle beweist, dass die DDR zwischen 1970 und 1990 der einzige Staat der Neuzeit gewesen war, in dem es gelungen ist, eine außerordentlich erfolgreiche qualitative Bevölkerungspolitik durchzusetzen, und in dem das Frauenstudium keine Methode der Empfängnisverhütung war.
Aber – Herr Sarrazin – Grundlage dafür war in der DDR ein übergreifender Konsens ohne öffentliche Diskussion gewesen, also das genaue Gegenteil von dem, was Sie jetzt mit ihrem Buch losgetreten haben! In einer Demokratie hat so etwas noch nie funktioniert, es widerstrebt ihrem innersten Wesen.
Während die Politik die Themen Integration, Einwanderung und Bildung aufgreifen und so tun wird, als beschäftige man sich damit schon immer, nur eben nicht ganz ausreichend, dann nur, um das viel tiefere Anliegen dieses Kapitels 9 – den Zusammenhang zwischen Geburtenzahlen, der Vererbung der Intelligenzunterschiede und der wirtschaftlichen Leistungskraft eines Volkes, umso weiter von sich zu weisen.
Es ist alles anders als Zufall, dass um 1890 nach der Einführung des allgemeinen und gleichen Stimmrechts auch die Steuerprogression erfunden wurde und fast gleichzeitig die ersten Gesetze mit steuerlichen Erleichterungen und Beihilfen für die Armen mit Kindern erlassen wurden. Damit begann unwiderruflich die Züchtung der Dummheit. Francis Galton, der vor den Folgen warnte, war seiner Zeit weit voraus. Erst heute, vier Generationen später, bekommen wir die Auswirkungen zu spüren, sinken in einigen Staaten die mittleren IQ-Werte, also nicht nur in Deutschland.
Dennoch ist manchmal ganz krassen Auswüchsen erfolgreich entgegen getreten worden. Sarrazin verweist (S. 386) zu Recht auf den Demokraten Clinton, der 1996 die Wohlfahrtsgesetze der USA reformiert hat. Vielleicht erreicht Sarrazin, wenn der Staat schon sparen muss, mit seinem Buch mittelfristig so etwas Ähnliches in Bezug auf die Einwanderung in die Sozialsysteme.
Im Schlusskapitel 9, Ein Traum und ein Albtraum, werden zwei Alternativen gegenübergestellt, beide Satiren: Ein Deutschland, das aus den Sarrazinschen Einsichten die Lehren zieht, und eines, das so weitermacht, wie bisher. In diesem Kapitel offenbaren sich die beiden inhaltlichen Hauptschwächen des Buches. Sarrazin extrapoliert bestehende gegenwärtige Trends linear in die Zukunft, bis zur fünften Generation der Zuwanderung der Muslime und ihrem Bevölkerungsanteil. Diese Trends werden aber gebrochen werden, und das in naher Zukunft! Aus zwei Gründen:
1. Auch in den muslimischen Ländern sinken die Geburtenzahlen rasch und dramatisch, auch in der Türkei und im Iran, und in Tunesien liegen sie z. B. bereits unter 2 Kindern pro Frau. Wenn ein sich fortsetzender Wanderungsdruck zu erwarten ist, dann auf längere Sicht eher aus Schwarzafrika.
2. Während Sarrazin in den Talkshows auseinander genommen werden soll, reist die Bundeskanzlerin durchs Land und arbeitet am Energiekonzept der Regierung. Sie widmet damit ihre Zeit tatsächlich dem dringendsten Problem. Was Sarrazin übersieht, ist, dass die von ihm erkannten Krisensymptome und dazu tretend die Verteuerung der Energie – die erste Hälfte des Erdöls ist bereits verbrannt worden und die Förderung der zweiten wird uns teuer zu stehen kommen – sich schon in den nächsten 20 bis 30 Jahren zu einer allgemeinen Weltkrise aufschaukeln werden, die nicht nur ich in meinem Roman „Das Reich Artam : Die alternative Geschichte“ „Das Große Chaos“ genannt habe. In diesem Roman kann man auch lesen, wie Berlin nach einer Islamisierung der Stadt einmal aussehen könnte. Das Grauen beschleicht uns, beileibe nicht wegen des Islams, sondern wegen der Vorausahnung des möglichen und wahrscheinlichen Ineinandergreifens von Krisenursachen, das noch stets die Ursache von Krieg und Zerstörung war.
Ein alter Mann hat am Ende seines Berufslebens ein außerordentliches Buch geschrieben. Jahrzehntelang war er nur ein Aschenputtel der Bürokratie gewesen, S. 12: „In Form von Vorlagen, Vermerken, Redeentwürfen und Aufsätzen habe ich in den letzten 35 Jahren Tausende von Seiten mit Gegenthesen gefüllt. Meine Chefs mussten politisch überleben, und ich war dazu da, ihnen zu helfen.“ Jetzt hat er allen gezeigt, dass er viel mehr kann, nämlich hochkomplexe Zusammenhänge überschauen und sich in fremde Fachgebiete in kurzer Zeit einlesen. Ja, Genverteilung, Genstruktur hat er selbstverständlich gemeint, statt „Gen“ – er braucht nichts zurückzunehmen. In Israel gibt es humangenetische Forschungsinstitute, die Arbeiten über die Genverteilungen der jüdischen Teilbevölkerungen und ihre Unterschiede zu anderen Populationen veröffentlicht haben. (Redaktionelle Anmerkung: „The Jerusalem Post“ brachte am 6. April 2010 einen Artikel, der sich mit Ergebnissen israelischer Forschungen über genetische Gemeinsamkeiten befasst. Darin wird auch eine Studie erwähnt, die in „The American Journal of Human Genetics“ veröffentlicht wurde.)
Einsam, doch irgendwie triumphierend, sitzt er unter denen, die ihn angiften und ihm ins Wort fallen. Wer nachweisen will, dass im ganzen Jahr das gleiche Wetter ist, dem wird es nicht schwer fallen, in jedem Monat des Jahres mindestens einen Tag zu finden, dessen Temperatur genau einem mittleren Maitag entspricht. Auf diesem geistigen Niveau agieren u. a. die schönen jungen Frauen muslimischer Herkunft, die in den Talkshows als lebende Kronzeugen gegen die Sarrazinsche „Menschenverachtung“ aufgeboten werden. Die Veranstalter übersehen dabei jedoch, dass der IQ der Sarrazin-Interessenten über dem mittleren IQ des Wahlvolkes liegt, für das der tägliche „Unsinn am laufenden Band“ gesendet wird.
„Dieses Buch wurde geschrieben aus einer tiefen Sorge. Sollte es dazu beitragen, dass nur einem Teil der Folgen, vor denen gewarnt wird, durch rechtzeitiges und vorausschauendes Handeln die Spitze genommen wird, dann ist es nicht umsonst geschrieben“, so mein Schlusswort in meinem Buch „Die IQ-Falle: Intelligenz, Sozialstruktur und Politik“ (Leopold Stocker Verlag, Graz 2000). Sarrazins Motivation ist die gleiche.
Die egalitäre Utopie ist bisher stets an der biologischen Ungleichheit der Menschen gescheitert, insbesondere am unterschiedlichen IQ, seinen sozialen Konsequenzen und seiner Vererbung. Also muss man, wenn man die Utopie retten und noch jemals auf ihre Verwirklichung hoffen will, alles Denken und alles Wissen über diese biologische Ungleichheit ausschalten und tilgen. Und damit auch die Wissenschafter, die auf so etwas verweisen. Der Teufel, Sarrazin, Biologismus, reaktionärer Mendelismus, Sozialdarwinismus, der Rassismus der Intelligenz, rechte Ideologie usw. – das sind nicht nur für das SPD-Präsidium Synonyme. Die antifaschistisch-demokratische Teufelsaustreibung hat begonnen.
Dr. rer. nat. habil. (Genetiker) Dr. phil. habil. (Historiker) Volkmar Weiss ist ein bekannter Schriftsteller und Buchautor.