Nach dem Bildungsideal des Deutschen Idealismus, das ich vertrete, ist Bildung sowohl ein Vorgang, für den heutzutage das Schlagwort vom „lebenslangen Lernen“ in Gebrauch ist, als auch ein Besitzstand. Erziehung und Bildung führen den Menschen aus dem durch Natur und Willkürfreiheit vorgegebenen Rohzustand zur Mündigkeit und zur Selbstbestimmung. Erst die Bildung erschließt dem Menschen seine volle Handlungsfähigkeit, indem sie seinen Verstand schärft, sein Wissen und Können aufbaut und seine Sozialkompetenz entwickelt. Die Frage nach dem Sinn des Lebens, worauf schließlich alles hinausläuft, beantwortet der Kulturmensch damit, dass er den größtmöglichen in ihm veranlagten Bildungsstatus erreichen will. In diesem Sinn umfasst Bildung einerseits ein Wissen und Können, das von praktischem Nutzen ist, und andererseits einen immateriellen Bereich, so dass üblicherweise zwischen Berufsbildung (bzw. schulischer Berufsvorbildung) und Allgemeinbildung unterschieden wird. Werden diese beiden Bereiche mit dem persönlichen und dem öffentlichen Interesse an Bildung kombiniert, so erhalten wir insgesamt vier Zielvorgaben für eine Bildungspolitik, die diesen Namen verdient:
Die Bildungsinstitutionen sind für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft daher von essentieller Bedeutung. An erster Stelle steht hier die Familie als ursprünglicher Ort der Sozialisation, der Aneignung von Werthaltungen und der Wissensvermittlung. Die Bewerbung und Förderung der Familie als Bildungsinstitution ist somit auch ein Aspekt der Bildungspolitik. Unbeschadet dessen wird das Thema in Folge auf Schulpolitik eingegrenzt.
Die PISA-Studie 2003 hat das Schlagwort vom „Bildungsnotstand“ ausgelöst und dem Ansehen von Frau BM Gehrer sehr geschadet. Die gesamte Linke führte die Misere auf erfolgte Sparmaßnahmen im Zuge der Budgetsanierung und auf das „rückständige“ gegliederte Schulwesen zurück und fordert die Gesamtschule. Die Gesamtschule löst aber das Qualitätsproblem nicht, da es sich dabei lediglich um eine Frage der Schulorganisation handelt. Der „Bildungsnotstand“ in Österreich hat ganz andere Ursachen.
Bis in die 1980er Jahre hinein wurde im Schulbereich das Geld mit beiden Händen zum Fenster hinausgeworfen, was, allerdings nur materiell, vor allem den Lehrern zugute gekommen ist und heute böse Folgen zeitigt. Fragwürdige Freigegenstände, um (zusätzliche) Überstunden zu lukrieren, Unterschreitung von Klassen- und Gruppengrößen, Großzügigkeit bei Supplierabgeltungen und Zuschlägen für z. T. gar nicht geleistete Mehrarbeit (Schulbuchaktion, Schülerfreifahrt, Förderkurse), Beurlaubungen und Stundenausfall ohne Gehaltseinbußen, um nur einige Missstände zu nennen. Außerdem bekamen die Lehrer mit den Semesterferien und den schulautonomen Tagen bis zu zwölf Ferientage dazu, ohne Abschläge bei den Gehältern. Diese haben sich übrigens während meiner Dienstzeit versechsfacht. Zusätzlich wurde eine großzügige Anstellungspolitik betrieben, um die Lehrerarbeitslosigkeit niedrig zu halten. Bei den damals jungen Lehrern machte das in Summe nicht allzuviel aus, aber mit zunehmender Vorrückung in höhere Bezüge wurde das Problem virulent und etwa seit Mitte der 1980er Jahre, zur Zeit der rot-blauen Koalition, versuchte die Bundesregierung, der Misswirtschaft gegenzusteuern. Unter der Federführung des Finanzministeriums (MR Dr. Leinwarter) wurden für den Stundenbedarf der Bundesschulen Kenn- und Grenzwerte eingeführt und auf die Einhaltung des Stellenplanes geachtet. Ab Mitte der 1990er Jahre wurde dann auch direkt in das Dienst- und Besoldungsrecht der Lehrer eingegriffen, z. B. Mehrleistungen und Stundenentfall gegengerechnet. Trotzdem war das österreichische Unterrichtsbudget bei Antritt der schwarz-blauen Wenderegierung, auf Schülerköpfe umgerechnet, noch immer das zweithöchste im ganzen OECD-Raum. Der Irrglaube, wir hätten dafür auch eines der besten Schulsysteme, wurde dann durch die PISA-Studien zerstört.
Ab 2000 gab das Finanzministerium Sparziele vor, aber das WIE blieb Gehrers Entscheidung. Nun sind über 95 % des Schulbudgets Lehrerkosten, daher kann nur bei diesen Kosten effizient gespart werden, wofür es (außer einer generellen Kürzung der Lehrergehälter) grundsätzlich drei Möglichkeiten gibt: Erstens die Erhöhung der Klassenschülerhöchstzahl (derzeit 30) bzw. der Gruppengrößen, die sich wegen des vielfach geteilten Unterrichts von den Klassengrößen erheblich unterscheiden; zweitens die Erhöhung der Lehrverpflichtung der Lehrer, die zu den niedrigsten in Europa zählt; drittens Stundenkürzungen, d. h. die Verminderung des Gesamtvolumens von Unterricht. Ersteres macht in der Öffentlichkeit ein schlechtes Bild und den Lehrern mehr Arbeit. Ebenso auf erbitterten Widerstand der Lehrergewerkschaften stößt eine Erhöhung der Lehrverpflichtung, auch wenn es sich dabei nur um ein bis zwei Stunden handeln würde und die Arbeitsbelastung der Lehrer damit immer noch hinter der Schweiz und Deutschland zurück bliebe. Auch einsichtigen Gewerkschaftern sind die Hände gebunden, stehen sie doch unter dem Druck (unkündbarer) Lehrer, die sich wegen der bereits genannten restriktiven Maßnahmen politisch verfolgt fühlen, die ihre, auf Grund der Umweltfaktoren immer schwieriger werdende Arbeit nicht gebührend gewürdigt sehen, und die seit den Pensionsreformen 2000, 2003 und 2004 nun endgültig frustriert sind. Gehrer hat sich mit der ihr politisch nahe stehenden Gewerkschaft nie wirklich angelegt, sondern mit ihr alles im Vorfeld vereinbart, so auch die überfallsartig verordneten Stundenkürzungen im Jahr 2003. Das war zwar die schlechteste Lösung, aber die einzig mögliche Sparmaßnahme, welche die Lehrer weder zeitlich noch finanziell geschädigt hat. Sie hat damit etwa 110 Mio. Euro, das sind ca. 2 %des Unterrichtsbudgets, eingespart. Eine Senkung der Klassenschülerhöchstzahl auf 25 kostet nach vorsichtigen Schätzungen mehr als das Doppelte.
Bildung ist primär keine Geldfrage sondern eine Einstellungsfrage. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik und Komik zugleich, dass gerade SPÖ und Grüne heute jenen „Bildungsnotstand“ ausrufen, für den sie hauptverantwortlich sind. Denn gerade sie haben die problematischen Thesen der Frankfurter Schule, die realitätsfernen Bildungs- und Erziehungstheorien, die Entkopplung von Ursache und Wirkung, von Anstrengung, Konsequenz und Leistung auf der einen sowie von Erfolg, Qualität und Sinngebung auf der anderen Seite (leider sehr erfolgreich) propagiert. Dem bürgerlichen Lager und insbesondere meiner Generation, die es noch besser gewusst hat, ist vorzuwerfen, kaum Widerstand geleistet zu haben. Das österreichische Schul- und Bildungswesen wird seit gut 35 Jahren von Politik und Schulverwaltung, von den Lehrern – natürlich mit der Einschränkung, dass es dabei auch viele Ausnahmen gibt − und von der Gesellschaft gleichermaßen geschädigt und deswegen ist es so, wie es ist:
Das österreichische Schulsystem hat abgewirtschaftet, was nur deswegen nicht besonders auffällt, weil es rundherum auch nicht viel anders ist. Allerdings wird anderswo – etwa in Deutschland – weit weniger Geld in das Schulwesen gesteckt wie in Österreich. Eine allfällige Senkung der Klassenschülerhöchstzahl würde das österreichische Unterrichtsbudget wieder zur OECD-Spitze hochtreiben. Sinn macht diese Maßnahme überhaupt nur für die städtischen Volksschulen, wo es kaum geteilten Unterricht gibt und die Klassen voll sind. In den Sekundarschulen liegt die durchschnittliche Größe einer Unterrichtsgruppe schon heute weit unter 25. Außerdem sagt mir die Erfahrung, dass ein Lehrer, der mit 30 Schülern nicht zu Rande kommt, auch mit 25 Schülern nicht zurecht kommt und nichts weiterbringt.
Es gäbe viele Reformmaßnahmen, die überhaupt nichts kosten und hinsichtlich einer Qualitätssteigerung sehr effektiv wären, wie z.B. effiziente Disziplinierungsmaßnahmen für Schüler, die sich nicht an demokratisch zustande gekommene Regeln halten, oder das pflichtige Wiederholen versäumter Schularbeiten, was derzeit paradoxerweise im Schulrecht nicht vorgesehen ist. Wenn solche Maßnahmen nicht realisiert werden, dann liegt das einerseits am pädagogischen Irrglauben und andererseits an einer überalterten, frustrierten und desillusionierten Lehrerschaft, die nur noch ihren materiellen Besitzstand wahren und in Frühpension gehen will, die allen Reformen negativ gegenüber steht und durch eine starke Lehrergewerkschaft abblocken lässt wie etwa die ins Auge gefassten „Leistungsstandards“, die vom Ministerium zur Akzeptanzsteigerung ohnehin schon in „Bildungsstandards“ umbenannt wurden. Diese lehnt der Großteil der Lehrer ab und blockiert ihre Entwicklung, weil damit natürlich auch die Arbeit der Lehrer gemessen werden könnte. Solange man den Lehrern allerdings keine Mittel in die Hand gibt, die Schüler notfalls zu ihrem Glück zwingen zu können, haben sie mit ihrer Furcht nicht ganz unrecht. Das Einzige, was in dieser verfahrenen Situation helfen würde, wäre das Erzeugen einer echten Aufbruchstimmung in der Schule, nach dem Motto: Jetzt packen wir es an, jetzt machen wir Nägel mit Köpfen. Damit könnte man den verschütteten Idealismus, den es in der Lehrerschaft selbstverständlich immer gegeben hat und auch heute noch gibt, wiederbeleben. Aber dazu müssten gleichzeitig die linken pädagogischen Irrlehren über Bord geworfen werden, nicht nur in der Schule, sondern auch in der Gesellschaft. Das aber ist in der augenblicklichen, politischen Konstellation unwahrscheinlicher denn je, zumal die neue Ministerin schon mit den abgedroschenen Phrasen von der „angstfreien“ Schule daher gekommen ist und dass das Lernen „Spaß“ machen muss. (Andernfalls ist natürlich der Lehrer schuld, weil er die Schüler nicht „motivieren“ kann. Ich musste zu meinen Schülern nur sagen, jetzt machen wir etwas Spannendes, aber das kommt nicht zur Schularbeit – und schon hat keiner mehr hingehört.) Wenn durch die österreichischen Schule ein Ruck gehen soll, dann müsste außerdem ein neues Lehrerdienstrecht geschaffen werden, das Leistung belohnt und Unfähige aus dem System entfernt. Auf ein solches Dienstrecht wartet ein gar nicht so kleiner Teil der Lehrerschaft schon lange, allerdings unter dem Vorbehalt, dass dabei nicht falsche Kriterien Platz greifen, angefangen vom Parteibuch bis zu dem Irrglauben, der gute Lehrer ist der, bei dem es nur gute Noten gibt.
In ein FPÖ-Bildungspapier habe ich einmal hineingeschrieben: „Schule soll aus freiheitlicher Sicht nicht bloß ein Abbild der Gesellschaft sein, sondern auch eine Quelle zukünftiger Entwicklungen“. Derzeit ist das nicht so, und deswegen geht es in Schule und Gesellschaft gleichermaßen bergab. Wer das nicht wahrhaben will, der darf sich auch über die Schule nicht beschweren. Umgekehrt hätten es alle im Bildungs- und Erziehungsbereich Tätigen sehr wohl in der Hand, eine Wende einzuleiten: Sie müssten nur den „gesunden Hausverstand“ über Ideologien stellen und an einem Strang ziehen. Aus vielen persönlichen Gesprächen weiß ich, und wer einschlägige Publikationen aufmerksam liest, der wird es bestätigen, dass alle wirklichen Fachleute, ganz gleich welcher politischen Richtung, in den wichtigen Fragen von Bildung und Erziehung weitgehend einer Meinung sind. Was aber fehlt, das ist die konzertierte Aktion gegen die Oberflächlichkeit, gegen den tradierten Aberglauben, für ein umfassendes Bildungsbewusstsein und für ein effizientes Schulsystem. In der FPÖ wird derzeit an einem neuen Schul- und Bildungsprogramm gearbeitet, um die Defizite abzubauen, die in den letzten Jahrzehnten bei einer Partei aufgetreten sind, die einmal die Partei der Bildungsbürger und der sozialen Aufsteiger gewesen ist. Dabei wird sich zeigen, inwieweit sich die heutigen Freiheitlichen von effekthaschendem Populismus und von zeitgeistigem Fetischismus abzusetzen bereit sind.
NEUERSCHEINUNG
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