Von Bertram Schurian
Als ich noch aktiv im Berufsleben stand, habe ich mich oft gefragt, nach welchen Kriterien eigentlich Führungspersonal in großen Unternehmen ausgesucht und befördert wird. Wohl war es ungeschriebenes Gesetz, dass Leute in führenden Positionen mindestens einen akademischen Grad zu haben hätten. Welche anderen objektiven Kriterien bei der Auswahl noch eine Rolle spielten, ist mir nie deutlich geworden. Mir fiel jedoch immer wieder auf, dass Leute, die sich als unfähig entpuppten, eine bestimmte Position kompetent zu bekleiden, früher oder später, meist früher, befördert wurden, während andere, die ihren Dienst ausgezeichnet absolvierten, auf einer unteren Sprosse der Karriereleiter kleben blieben. Manche, die zur Beförderung vorgeschlagen wurden, welche dann aber unterblieb, verließen enttäuscht die Firma.
Vor einiger Zeit habe ich ein protokolliertes Zwiegespräch gelesen, das Karen Hudes am 8. Mai 2013 mit Lars Schall führte. Frau Hudes studierte in Yale und in Amsterdam Jurisprudenz. Von 1986 bis 2007 war sie juridische Beraterin (senior counsel legal department) bei der Weltbank in Washington D.C. In diesem Gespräch meint sie, dass es zweifelhaft ist, ob die Weltbank wirklich die Interessen der Aktionäre der 188 Staaten, darunter die USA, vertritt, vielmehr sei es eine Gruppe von sehr reichen Leuten in der Weltbank, die unter Zuhilfenahme ihres Einflusses auf die Medien ihre eigenen Ziele verfolgen und die amerikanischen Bürger sowie den Rest der Welt über ihr Agieren im Dunkeln lassen würde. Diese Gruppe kontrolliere durch übergreifende Aufsichtsrats- und Vorstandsmandate das Wohl und Wehe von 43.060 internationalen Firmen, 40 Prozent ihrer Aktiva und 60 Prozent ihrer Einkünfte. Sie vermeint, in der Weigerung der USA, der Forderung Deutschlands auf unmittelbare Rückgabe von 300 Tonnen Gold nachzugeben, ein Indiz amerikanischer Korruption zu sehen. Korruption bei der Weltbank führte auch dazu, dass Paul Wolfowitz seine Position als Präsident der Bank aufgeben musste. Auch der Vertrag seines Nachfolgers, Robert Zoellick, wurde nach einer Periode im Amt nicht verlängert. Des Weiteren wunderte sich Hudes sehr über die Tatsache, dass es in der Bank kein Kontrollsystem gab, das Aussprachen mit dem Personal festlegte, und auch darauf achtete, dass solchen Absprachen auch tatsächlich nachgekommen wurde. Als sie so ein Kontrollsystem einführen wollte, wurde dies rundweg abgelehnt. Vielmehr sei sie von ihrem „human resources manager” informiert worden, dass jedes Mal, wenn er einen Kandidaten zur Beförderung vorschlug, dieser entlassen wurde. Wenn er hingegen meinte, ein Kandidat solle entlassen werden, sei dieser befördert worden.[1]
Diese Schilderung weckte bei mir gewisse Assoziationen. Frau Hudes glaubte, als Grund für diese merkwürdige Handlungsweise herausgefunden zu haben, dass die Bank nur absolut loyale Mitglieder in höhere Funktionen beförderte, während fähige und kritisch eingestellte Geister von den höheren Autoritäten im Team anscheinend nicht gewünscht waren.
Wenn man weiß, welche Rolle die Weltbank im internationalen wirtschaftlichen Geschehen und indirekt auch als verlängerter Arm der US-amerikanischen Politik spielt (siehe das Buch von Insider John Perkins, Confessions of an Economic Hit Man, 2004, ISBN 0-452-28708-1), sollte dies nicht verwundern.
Diese Überlegung bringt mich wiederum zu einem Thema, das in der Hauptsache in Europa spielt. Es geht um den ESM, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (siehe auch „ESM: Die Abschaffung der Demokratie!“ von Gerulf Stix im Genius-Brief, November 2011). Dieser Stabilitätsmechanismus wurde, so wird behauptet, nach US-amerikanischem Beispiel/Modell errichtet und gleichsam den auf der Konferenz von Bretton Woods, USA, im Juli 1944 beschlossenen Institutionen zur Regulierung der internationalen monetären und finanziellen Ordnung wie Internationale Bank für Entwicklung und Wiederaufbau (Teil der Weltbank) dem GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) nachempfunden. Wie ist der ESM strukturiert? Gerulf Stix hat in seiner Analyse über die Struktur und die Errichtung des ESM heraus gearbeitet, dass quasi eine „gottähnliche Finanzherrschaft“ möglich gemacht wurde, die völlig von der Volkssouveränität abgekoppelt ist und den Prototyp einer autokratischen Herrschaftsinstitution darstellt.
Wenn diese Konstruktion, der ESM, sein Vorbild in US-amerikanischen bzw. internationalen Institutionen hat, dann stellt sich hier schon die Frage, welchen Kriterien fachlicher und charakterlicher Art das zu besetzende Führungspersonal entsprechen muss?
Wenn man beobachtet, wie seit 2010 alle Verträge, die im Zusammenhang mit der europäischen Währungsunion mit den 17 Mitgliedern der EURO-Zone auf Basis der festgelegten EU-Regeln geschlossen wurden, gebrochen bzw. nicht beachtet wurden, kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass es künftig auch denkmöglich sein wird und geschehen kann, die Einwohner der Währungsunion ihrer Ersparnisse zu berauben. Ich will nicht behaupten, dass dies geschehen wird. Die Möglichkeit hierzu wurde jedoch von den Parlamenten der 17 EURO-Mitgliedsstaaten mit der Einrichtung des ESM geschaffen.
Deshalb ist es von ausschlaggebender Bedeutung, welche Führungspersonen diese die EURO-Zone gestaltenden Institutionen leiten. Werden es Persönlichkeiten sein, die kritisch sind, oder werden es Persönlichkeiten sein, die sich absolut loyal gegenüber ihren Auftraggebern verhalten werden? Die bisherige Erfahrung zeigt, zumindest im Falle der Weltbank, dass selbständiges und kritisches Denken beim Führungspersonal in dieser Institution nicht erwünscht zu sein scheint. Wer garantiert, dass im ESM nicht eine ähnliche Personalpolitik betrieben wird wie bei der Weltbank?
Wenn man den Karriereverlauf eines gewissen Jörg Asmussen, der jetzt Mitglied des ausführenden Rates bei der Europäischen Zentralbank ist und seinerzeit maßgeblich als Staatssekretär unter Finanzminister Steinbrück an der Einführung der Bankenderegulierung in Deutschland beteiligt war, dann lässt das ärgste Befürchtungen keimen. So warnt etwa Hans-Olaf Henkel in seiner Kolumne „Henkel trocken“ im Deutschen Handelsblatt davor, dass „die Lüge in der Politik wieder hoffähig gemacht wird“. Darin zitiert er den luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker, der einmal gesagt haben soll: „Wenn es ernst wird, muss man lügen“.[2]
Wie man jetzt von der Reaktion der US-amerikanischen Regierung deutlich vor Augen geführt bekommt, aber dies gilt auch für viele andere Regierungen, ist jenen Menschen, die Malversationen bzw. kriminelle Handlungsweisen in staatlichen bzw. halbstaatlichen Organisationen an die Öffentlichkeit bringen wollen, ein schweres Los beschieden.[3] Meistens werden sie als Kriminelle hingestellt, während die von ihnen aufgezeigten Missstände in den Hintergrund treten. Das steht im Gegensatz zu privaten Unternehmen, denen schon aus eigenem finanziellen Interesse sehr daran gelegen ist, dass hausinterne Unzulänglichkeiten umgehend dem Führungspersonal bekannt werden und dieses in der Regel auch rasch reinigend reagiert. Anscheinend gibt es bei staatlichen bzw. halbstaatlichen Organisationen dieses Interesse nicht bzw. sind eventuelle Möglichkeiten für diese „Reinigungskräfte“ nur unzulänglich entwickelt.
Frau Hudes, die inzwischen von der Weltbank entlassen wurde, weist in ihrem Interview auch darauf hin, dass Berichte über erwiesene kriminelle Handlungen in der Weltbank nicht verfolgt worden seien. Auch US-Senatoren, die über diese Vorkommnisse informiert wurden, hätten offensichtlich nichts dagegen unternommen bzw. haben den Sachverhalt möglicherweise absichtlich totgeschwiegen.
Die sonst nach Sensationen gierende Mainstream-Presse, der diese zum Teil schockierenden Informationen angeboten wurden, soll seltsamerweise diesbezügliche Veröffentlichungen abgelehnt haben. Wer garantiert, dass wenigstens künftig die gröbsten Unzulänglichkeiten in diesen Institutionen öffentlich bekannt und verfolgt werden? Niemand! Denn die Herren und Damen in den Führungspositionen der Weltbank und ähnlicher Organisationen sind praktisch immun und können von keiner nationalen Regierung bzw. Justizbehörde verfolgt werden. Eine sinngemäß vergleichbare Immunität und somit Unangreifbarkeit besitzen die Führungsmitglieder des ESM! Aus unserer Geschichte kennen wir genug Persönlichkeiten in führenden Positionen, die nicht unbedingt das Wohl und Wehe ihres Volkes/Staates im Auge hatten.
Ein anderer Aspekt, der möglicherweise ein Indiz für die lahme Haltung vieler Staaten, hauptsächlich Staaten in der europäischen Union, jedoch nicht nur solche, gegenüber den eklatanten Überwachungsübergriffen der NSA (National Security Agency), die gegen alle Regeln und Zusätze der US-amerikanischen Verfassung verstoßen, die auch Sigmar Gabriel in seinem Gastbeitrag in der FAZ zutiefst beklagt,[4] könnte die Tatsache sein, dass viele Staaten gegenüber den USA in einem Verhältnis der Servilität, also der Unterwürfigkeit und kriecherischen Ergebenheit stehen. Servilität war und ist bekanntlich das Charakteristikum von Sklaven. Gavan McCormack[5] ist emeritierter Professor an der Australian National University. Er hat am 24. Juni 2013 im „The Asia-Pacific Journal – Japan Focus” einen längeren Artikel veröffentlicht, der in nicht misszuverstehenden Worten das Verhältnis USA – Japan kennzeichnet. Darin führt er u. a. aus, dass viele japanische Politiker, die das Problem mit den US-amerikanischen Militärbasen in Okinawa und anderen Orten angehen und lösen wollten, plötzlich von der politischen Bühne verschwanden, und dass japanischen Regierungen, die eine von Amerika unabhängigere Außenpolitik verfolgen wollten, ein kurzes Leben beschieden war. In seiner Studie führt er auch die Gründe dafür an: Servilität seitens der Japaner. Auch Taiwan und Südkorea nehmen die gleiche Haltung wie Japan ein.
Sobald Politiker in diesen Ländern versuchen, für die Interessen ihrer Länder einzutreten, bekommen sie die Macht der Amerikaner zu spüren: Plötzlich werden sie für echte oder fiktive Verfehlungen von ihrer eigenen Justiz angeklagt und so aus dem Verkehr gezogen.
McCormack nennt auch verschiedene Beispiele, die die Servilität der australischen politischen Elite widerspiegeln. China ist für Australien ein wichtiger Handelspartner, und deshalb ist die Haltung der australischen Politik gegenüber China eine andere als die der Vereinigten Staaten. So haben drei frühere Premierminister von Australien klare Warnungen hinsichtlich eines immer tieferen Hineinschlitterns in die Servilität ausgesprochen. So meinte Malcolm Fraser, konservativer Premierminister von 1975 bis 1978, u. a: „we seem more and more than ever to be locked into the United States`purposes and objectives. Unconditional support diminishes our influence throughout East and South-East Asia. It limits our capacity to act as an independent and confident nation. It limits our influence on the United States herself.” Dem ist wahrlich nichts hinzuzufügen. Dass seine Einschätzung des Vereinigten Königreichs Großbritannien als „poodle power” (Tony Blair als Pudel der USA) zu Recht besteht, bezweifle ich nicht, denn die Beispiele, die er anführt, sind überzeugend und gerade das bedingungslose Mitmachen der Engländer am militärischen Eingreifen der US-Amerikaner im Irak ist ein Paradebeispiel dafür.
Inwieweit Deutschland in einem unterwürfigen Verhältnis zu den USA steht, ist schwer zu sagen, jedoch gibt es genug – als freundschaftliche „Empfehlungen“ deklarierte – indirekte Anweisungen, die nahe legen, dass dem so sein könnte. Für den „Spiegel” und seine Redakteure ist dies freilich klar erwiesen. In einer Analyse im Heft 28 vom 8. Juli 2013, getitelt mit „Obamas Zwerge”, wird als Schlussfolgerung der NSA-Überwachung in Deutschland das folgende Fazit gezogen: „Realpolitik heißt jetzt, vor den Amerikanern zu kuschen. Deutschland ist eben abhängig, politisch und wirtschaftlich von den Amerikanern, wirtschaftlich von den Chinesen, die deshalb beim Thema Menschenrechte kaum noch Kritik aus Berlin hören. Deutschland ist ein Land, das sich nichts traut. Der Fall Snowden zeigt auch, dass Deutschland ein Zwerg des Weltgeschehens ist.”[6] Dieser Feststellung einer bitteren Wahrheit ist höchstens noch hinzuzufügen, dass die Bedeutung Österreichs im Weltgeschehen noch eine Größenordnung unter dem Zwergenformat anzusiedeln ist. Dennoch ist Österreich ein wichtiger Baustein der EU und ein Edelstein der europäischen Kultur mit Weltgeltung.
[1] Interview mit Frau Karen Hudes von Lars Schall am 8. Mai 2013 unter dem Titel „WorldBank a security risk to the world order?”
[2] Henkel trocken, Von Euro-Lügen und Euro-Lügnern, von Hans-Olaf Henkel am 24. Juni 2013 im Handelsblatt
[3] „How to deal with wihistleblowers?“ – Whistleblower (von engl. „to blow the whistle“ – „in die Pfeife blasen“) werden Skandalaufdecker genannt, die für die Allgemeinheit wichtige geheime Informationen an die Öffentlichkeit bringen. Dazu gehören typischerweise Missstände oder Verbrechen wie Korruption, Insiderhandel, Menschenrechtsverletzungen, Datenschutzmissbrauch. Whistleblower genießen in Teilen der Öffentlichkeit ein hohes Ansehen, weil sie für Transparenz sorgen und sich als Informanten selbst in Gefahr begeben oder anderweitige gravierende Auswirkungen auf ihr Leben und ihre Arbeit riskieren. Häufig werden Whistleblower gemobbt oder es wird ihr Arbeitsverhältnis aufgekündigt oder sie werden wegen Geheimnisverrats vor Gericht gebracht. Bei hochbrisanten Themen wie Waffenhandel, organisierter Kriminalität oder Korruption auf Regierungsebene gab es Fälle, in denen Whistleblower ermordet wurden, auf ungeklärte Weise verstarben oder vermeintlich Selbstmord begingen. In manchen Ländern genießen Whistleblower besonderen gesetzlichen Schutz. Zu den Fällen, in denen Regierungen oder Regierungschefs aufgrund von Whistleblower-Veröffentlichungen zurücktreten mussten zählt auch die Watergate-Affäre in den USA. Veröffentlichende Medien überprüfen in der Regel die Glaubwürdigkeit und Echtheit solcher Informationen gründlich.
[4] Frankfurter Allgemeine Feuilleton, Die offene Gesellschaft und ihre digitalen Feinde von Sigmar Gabriel 2. Juli 2013
[5] The Asia-Pacific Journal: Japan Focus, Japan’s Client State (Zokkoku) Problem von Gavan McCormack, 24. Juni 2013
[6] Der Spiegel, Heft 28 vom 8. Juli 2013, „Obamas Zwerge“, Seite 15