Fragwürdige Friedensnobelpreisträger


2. Teil von „Ehre, wem Ehre gebührt“

 

Von Bernd Stracke

Wunsch des Stifters Alfred Nobel war es, die Friedensauszeichnung an den zu vergeben, „der am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt und damit der Menschheit den größten Nutzen erbracht“ hat. Die Vergabe des seit 1901 verliehenen und mit einer knappen Million Euro dotierten Preises[1] erfolgt durch ein vom norwegischen Parlament jeweils für sechs Jahre nominiertes fünfköpfiges Komitee, dem derzeit der sozialdemokratische norwegische Politiker und Europarat-Generalsekretär Thorbjørn Jagland[2] vorsteht. Das Komitee ist in seinem Urteil unabhängig. Sitzungen brauchen nicht protokolliert und Entscheidungen nicht gerechtfertigt zu werden. In Diskussionen nach der Vergabe bezieht das Komitee nie Stellung. Vorschläge können Komiteemitglieder, frühere Preisträger, alle Mitglieder einer Regierung oder des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag sowie Professoren der Fachrichtungen Sozialwissenschaft, Geschichte, Philosophie, Recht und Theologie und die Leiter von Friedensforschungsinstituten und ähnlichen Organisationen einreichen. 

Nach dem ersten Genius-Themenlesestück „Ehre, wem Ehre gebührt“, in dem prominente Ordensträger genauer unter die Lupe genommen wurden, beleuchtet dieser zweite Teil einige ganz spezielle Friedensnobelpreisträger. 

1973 – Friedensnobelpreis statt Kriegsverbrechertribunal

Gerichtlichen Vorladungen im Zusammenhang mit seinen Rollen beim Chileputsch 1973 (er wurde von den USA unterstützt und forderte laut Amnesty International bis zu 30.000 Tote), bei der „Operation Condor“ (die juristische Aufarbeitung der ab 1975 verübten Verbrechen ist bis heute nicht abgeschlossen), beim „Argentinischen schmutzigen Krieg“ (30.000 Ermordete), bei der Osttimor-Invasion (183.000 Tote), bei der völkerrechtswidrigen Bombardierung Kambodschas (125.000 Opfer) und beim Geiseldrama von Teheran 1979 kommt die graue Bilderberger-Eminenz Henry Kissinger prinzipiell nicht nach. Kissingers Ex-Mitarbeiter Roger Morris hielt fest: „Wenn wir Kissinger nach den gleichen Maßstäben beurteilen wie wir es mit anderen Staatschefs und Politikern, z. B. in Deutschland und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg, taten, wird er sicher irgendwann als Kriegsverbrecher verurteilt werden.“ 

Es kam anders: Kissinger wurde mit Auszeichnungen und Orden überhäuft. Zunächst kamen die Goldene Bürgermedaille und die Ehrenbürgerschaft seiner Heimatstadt Fürth, 1973 der Friedensnobelpreis (den Kissinger zusammen mit dem Vietnamesen Le Duc Tho für die Unterzeichnung des Friedensabkommens in Vietnam erhielt), das Großkreuz des Verdienstordens der Italienischen Republik, die höchste zivile US-Auszeichnung „Presidential Medal of Freedom“ sowie das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, der Karlspreis, das Ehrendoktorat der Universität Erlangen, der Titel „Knight Commander“ des „Order of the British Empire“, der Franz-Josef-Strauß-Preis, das Großkreuz des Verdienstordens der Republik Polen, der Tomáš-Garrigue-Masaryk-Orden (höchster tschechischer Orden) und die „President’s Medal of Distinction“ (die höchste Auszeichnung Israels). Im Vorjahr wollten der damalige deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière und der damalige Außenminister Guido Westerwelle Kissinger zum 90. Geburtstag eine Stiftungsprofessur an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, finanziert durch das Bundesverteidigungsministerium, zuschanzen. Damit hätte sichergestellt werden sollen, dass Kissingers „außerordentliche Leistungen auf den Gebieten der Diplomatie, Strategie und der transatlantischen internationalen Beziehungen die sicherheits- und verteidigungspolitische Debatte dauerhaft beflügeln“. Allerdings lehnten der Studierendenausschuss und das Studierendenparlament der Uni Bonn diese geplante Professur ab.

1978 – Mordkomplott, Massaker – und wieder Friedensnobelpreis

Der Friedensnobelpreis 1978 ging an zwei Personen: Zum einen an Anwar as-Sadat, der sich nach 1944 in verschiedene Mordkomplotte gegen die mit den Briten kooperierende ägyptische Führung verstrickt hatte. Nach der Ermordung des Regierungsmitglieds Amin Osman wurden Sadat und seine Komplizen 1946 festgenommen. In einem Prozess, den Kritiker als Farce bezeichneten, wurden elf Angeklagte einschließlich Sadats freigesprochen. Der Vorsitzende des Gerichts erhielt später aus Sadats Händen die höchste ägyptische Auszeichnung, die ‚Nil-Kette’. Sadat wurde 1981 ermordet. Von Ronald Reagan erhielt er posthum die Presidential Medal of Freedom. 

Der zweite Empfänger des Nobelpreises 1978 war Menachem Begin. 1942 in Palästina desertiert, war er 1943 Anführer der revisionistisch-zionistischen Untergrundorganisation Irgun Tzwai Le’umi geworden. Begin war 1946 nachweislich verantwortlich für den Sprengstoffanschlag auf das King David Hotel in Jerusalem, bei dem 91 Menschen ums Leben kamen, darunter 28 Briten, 41 Araber und 17 Juden. Weiters wurden unter Begins Befehl zwei britische Soldaten entführt und gehängt. Vor den Briten, die ihn steckbrieflich suchten, tarnte er sich als bärtiger „Rabbi Sassover“. Weiters umstritten ist Menachem Begins Verwicklung in das 1948 an Arabern verübte Massaker von Deir Yasin. Politische Gegner versuchten Begin als faschistisch und radikal rechts abzustempeln. David Ben-Gurion verglich Begin mit Adolf Hitler, Erich Fried verglich ihn mit Reinhard Heydrich.

1988 – Frauenhandel, Zwangsprostitution – und wieder Friedensnobelpreis

Die unter dem Kommando der Vereinten Nationen stehenden UN-Friedenstruppen („Blauhelme“) erhielten 1988 den Friedensnobelpreis für ihr „Engagement zur Sicherung des Weltfriedens“. Ihr erster Einsatz erfolgte 1948 im Palästinakrieg. Während der Suezkrise 1956 wurde die bewaffnete Noteinsatztruppe UNEF aufgestellt. Die während der Kongokrise 1960 erfolgte Operation der Vereinten Nationen im Kongo (ONUC) verwendete erstmals blaue Helme und die Aufschrift „UN“ auf ihren Militärfahrzeugen. Die Truppen haben zwar bis heute keinen direkten Kampfauftrag, sind aber in gewissem Umfang zum Waffengebrauch berechtigt. Da die Vereinten Nationen eine internationale Organisation sind, dem Abkommen über das Kriegsvölkerrecht aber nur Staaten beitreten können, ist der rechtliche Status der Friedensmissionen weitgehend ungeklärt. Bis März waren heuer 97.811 Militärbeobachter, Soldaten und Polizisten aus 122 Staaten, hauptsächlich aus Entwicklungsländern, zur „Friedenssicherung“ aktiv. Die größten Truppensteller sind die lupenreinen Demokratien Pakistan, Bangladesch und Indien, für die diese Beteiligung eine wichtige Devisenquelle darstellt – so erhält Bangladesch jährlich 200 Millionen Dollar an Rekompensation. Bis Ende März 2014 verloren 3.215 Angehörige von UN-Friedensmissionen im Einsatz ihr Leben, darunter 44 Österreicher. Die Praxis zeigte, dass die UN-Blauhelme bei weitem nicht immer den Frieden sichern konnten. Die Einbindung möglichst vieler Länder in die Friedenstruppe stellte sich als ineffektiv heraus. Unklare Befehlsstrukturen, Sprachbarrieren und mangelnde Zusammenarbeit aus technischen oder menschlichen Unzulänglichkeiten führen zu Organisationsdefiziten. Auch die Bürokratie des UN-Sicherheitsrates selbst, der als einziges UN-Organ Mandate zu Blauhelmeinsätzen erteilen kann, musste und muss sich Kritik gefallen lassen. Immer wieder wurden die „Weltmissionare“ in brodelnde Krisenherde geschickt, in Auseinandersetzungen verwickelt und nicht selten als Geiseln genommen.

Ein typisches Negativbeispiel war die UN-Resolution 819, durch die Srebrenica 1993 zur UN-Schutzzone erklärt wurde. Zur Sicherung von Srebrenica waren 400 holländische Blauhelme eingesetzt. Als die Stadt gegenüber den bosnisch-serbischen Belagerern kapitulierte, waren die Blauhelm-Soldaten nicht in der Lage, die Zivilbevölkerung zu schützen – in der Folge kam es zum berüchtigten Massaker von Srebrenica. US-amerikanische Blauhelme genießen übrigens im Fall von Menschenrechtsverletzungen – völlig grundlos – eine Immunitäts-Sonderstellung. Menschenrechtsorganisationen sehen in der Stationierung von Friedenstruppen die Ursache für stark steigenden Frauenhandel zur Zwangsprostitution in den jeweiligen Regionen, speziell im Kosovo. Die Zahl der registrierten Etablissements, in denen Frauen als Zwangsprostituierte arbeiten müssen, sei von 18 im Jahr 1999 auf zuletzt über 200 gestiegen. 

1993 – Friedensnobelpreis für den Ex-Terroristen Nelson Mandela

Dem im Vorjahr verstorbenen südafrikanischen Anti-Apartheid-Kämpfer und Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela wurde schon zu Lebzeiten weltweit eine politische und moralische Vorbildfunktion zugeschrieben. 1961 war er Anführer des bewaffneten Flügels des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), hatte Südafrika illegal verlassen und sich in mehreren afrikanischen Ländern aufgehalten. Nach erst post mortem bekannt gewordenen Informationen war er von Mossad-Ausbildern geschult worden und lebte als „Gärtner David“ bzw. mit dem Spitznamen „The Scarlet Pimpernel“ auf der Farm des Kommunisten Arthur Goldreich im Untergrund. 1962 wurde er wegen illegaler Auslandsreisen und politischen Umtrieben zu drei Jahren Haft verurteilt. Die entscheidenden Hinweise, die zu seiner Festnahme führten, soll übrigens der CIA geliefert haben. 1964 wurde Mandela wegen insgesamt 221 Terroranschlägen – die er nicht bestritt – und wegen Hochverrats – den er bestritt – zu lebenslanger Haft verurteilt. Wiewohl Mandela ein mehrfacher Mörder und Terrorist war, genoss er im Gefängnis luxuriöse Haftbedingungen. Er konnte seinen Schulabschluss nachholen und ein Jus-Fernstudium abschließen. Er durfte frei mit Mitgliedern des illegalen ANC, die der Verhaftung entkommen waren, korrespondieren. 1988 wurde Mandela von der US-Regierung als Terrorist auf eine Watch-List gesetzt, von der er erst nach 20 Jahren gestrichen wurde. Am Tag seiner vorzeitigen Freilassung leitete er 1990 in einer Rede öffentlich seine „Politik der Versöhnung“ ein, indem er alle Menschen zur Mitarbeit an einem „nichtrassischen, geeinten und demokratischen Südafrika mit allgemeinen, freien Wahlen und Stimmrecht für alle“ einlud. 1991 zum Präsidenten des ANC gewählt, leitete Mandela Verhandlungen mit der Regierung über die Beseitigung des Apartheid-Systems ein. 1994 wurde Mandela zum ersten schwarzen Präsidenten gewählt und erreichte schließlich internationalen Respekt für sein Eintreten für nationale und internationale Versöhnung. Außer mit dem Nobelpreis wurde der zum Sozialapostel konvertierte Ex-Terrorist u. a. mit dem Bruno-Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte ausgezeichnet, weiters mit dem Simón-Bolívar-Preis der UNESCO, dem Menschenrechtspreis der Vereinten Nationen, dem indischen höchsten zivilen Orden Bharat Ratna, dem Lenin-Friedenspreis der UdSSR, dem spanischen Frederik-Willem-de-Klerk-Preis, dem britischen Order of Merit, dem Honorary Companion des Order of Canada, dem Collane des spanischen Ordens de Isabel la Católica, dem Großkreuz des Verdienstordens der Republik Ungarn, dem Großkreuz des norwegischen Sankt-Olav-Ordens, der Goldenen Ehrenmedaille des Kongresses der Vereinigten Staaten, dem indischen Ghandi-Friedenspreis, der von US-Präsident George W. Bush verliehenen Freiheitsmedaille, dem finnischen Orden der Weißen Rose, der Queen Elizabeth Golden Jubilee Medal, der Ehrenbürgerschaften von Belgrad, Rom und Canada, dem Kavalier des Ordens des Lächelns, dem Seraphinenorden, dem Nil-Orden, dem Order of Jamaica und dem Orden vom Aztekischen Adler. Ehrendoktorwürden verliehen ihm die Universitäten von Cambridge, Calcutta und Pretoria. Außerdem wurde die ausgestorbene Spechtart Australopicus nelsonmandelai nach ihm benannt.

1994 – Ein Terrorist, ein Waffenbeschaffer, ein Knochenbrecher – und wieder Friedensnobelpreis

1994 erhielten Jassir Arafat, Schimon Peres und Jitzchak Rabin den Friedensnobelpreis für ihre Anstrengungen zur Lösung des Nahostkonflikts. 

Palästinenserpräsident Jassir Arafat, Mitbegründer und späterer Anführer der palästinensischen Fatah, die jahrzehntelang Anschläge und Bombenattentate auf israelische, jordanische und libanesische Ziele verübte, wird einerseits als Freiheitskämpfer, andererseits als Terrorist und Guerillakämpfer eingestuft. 2002 soll er sich im Rahmen der Karine-A-Affäre, in deren Verlauf das gleichnamige palästinensische Waffenschiff in internationalen Gewässern des Roten Meeres von Israel beschlagnahmt wurde, aktiv am Waffenschmuggel für paramilitärische und terroristische Zwecke beteiligt und die allein von ihm befehligten Sicherheitskräfte der Autonomiebehörde für Übergriffe auf Israel zur Verfügung gestellt haben. Geheimdienstliche Vergiftungsgerüchte um Arafats Tod 2004 wollen nicht verstummen. 

Schimon Peres, von 2007 bis 2014 israelischer Staatspräsident, war zuvor als Staatssekretär im Verteidigungsministerium maßgeblich für die Waffenbeschaffung für den Staat Israel verantwortlich. 1957 schloss er mit dem damaligen deutschen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß ein diesbezügliches Geheimabkommen, war an der Beschaffung des französischen Kampfflugzeugs Dassault Mirage III und eines französischen Kernreaktors beteiligt. 1996 ordnete Peres die so genannte Operation „Früchte des Zorns“ im Libanon an, in deren Verlauf bei der Zerstörung eines UN-Beobachter-Hauptquartiers 106 Zivilisten starben. 

Jitzchak Rabin war Generalstabschef der israelischen Streitkräfte, Verteidigungsminister und zweimal Ministerpräsident. Als 1984 Schimon Peres israelischer Ministerpräsident wurde, kam Rabin als Verteidigungsminister in sein Einheitsregierungs-Kabinett. Wie im Fernsehen mehrfach dokumentiert, setzte er umstrittene bis brutale Methoden ein, um die Erste Intifada (den teils friedlichen, teils gewaltsamen palästinensischen Volksaufstand von 1987 gegen das israelische Joch) zu beenden und erhielt wegen seines auf palästinensische Steinewerfer bezogenen Zitates „Wir sollten ihre Hände und Beine brechen“ in der arabischen Welt den Titel „Knochenbrecher“. Rabin wurde 1995 von einem jüdischen Fundamentalisten ermordet.

2009 – Ausgerechnet Obama! 

Die Verleihung des Friedensnobelpreises 2009 an den US-Präsidenten Barack Hussein Obama „für seine außergewöhnlichen Bemühungen, die internationale Diplomatie und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu stärken“ verdient eine nähere Betrachtung:

Als frisch gekürter Präsident hatte Obama wohl 2009 dem US-Geheimdienst CIA die Anwendung von Folter verboten und die Schließung aller Geheimgefängnisse sowie die Auflösung des Gefangenenlagers Guantanamo Bay innerhalb eines Jahres angeordnet. Auch verkündete er das Ende aller US-Kampfmissionen im seit 2003 besetzten Irak und den Abzug der meisten US-Kampftruppen innerhalb von 18 Monaten. Diese verließen den Irak tatsächlich 2010. Ab Ende 2011 sollten nur noch einige wenige Truppen zum Schutz der Botschaft und zum Training des irakischen Militärs im Land verbleiben. Nachdem aber zuletzt die Terrororganisation Islamischer Staat einen großen Teil des Iraks eroberte, liefert Obama wieder Waffen sowie „Militärberater“ in die Krisenzone. Schon zuvor hatte Obama 300 Soldaten entsendet, die die irakischen Sicherheitskräfte unterstützen und die US-Botschaft in Bagdad schützen sollen. Insgesamt befinden sich nun wieder knapp 1.000 US-Soldaten im Irak. Seit Monaten lässt Obama die Krisenzone bombardieren, schließt aber derzeit wenigstens einen offiziellen Kampfeinsatz bewaffneter Bodentruppen aus. Beobachter fürchten allerdings, dass die USA erneut in den Irak-Krieg hineingezogen werden, den der Friedensnobelpreisträger vor mehr als zweieinhalb Jahren für beendet erklärt hatte. 

Nach Afghanistan hatte Obama 2009 zusätzliche 47.000 US-Soldaten geschickt, um Al Qaida und die Taliban „wirksamer zu bekämpfen und den zivilen Wiederaufbau zu verstärken.“ Seit 2011 will Obama dort die US-Truppen „allmählich abziehen“. Dieser Abzug ist in seiner Endphase. 

In Pakistan führt er aber die von seinem Vorgänger begonnenen Drohnenangriffe fort. Völkerrechtswidrig lässt er mutmaßliche Terroristen vermehrt durch unbemannte Luftfahrzeuge aufspüren und gezielt töten. Die Zahl der Drohnenattacken vervielfachten sich unter Obama im Vergleich zum letzten Bush-Amtsjahr. Kriegsstatistiker zählten unter Obama bis Anfang 2014 über 2400 Tötungen durch Drohnen (gegenüber „nur“ 340 in der Bush-Ära). Auch in Afghanistan verfolgt Obama stärker als sein Vorgänger die Strategie schwerer Luftangriffe, denen häufig Zivilisten zum Opfer fallen. 

Bis heute nicht geschlossen ist das Gefangenenlager Guantanamo im US-Navy-Marinestützpunkt auf Kuba. Nach anfänglich 779 Gefangenen im Jahr 2002, darunter Kindern (!) und Jugendlichen, waren im Juni dieses Jahres „nur“ noch 149 Personen inhaftiert. Michael Ratner, Präsident des Center for Constitutional Rights (Zentrums für Verfassungsrechte), berichtete, dass Bewacher „Gefangene brutal zusammenschlagen, ihre Köpfe in Kloschüsseln zwängen, ihnen Knochen brechen, ihnen die Augen bis hin zur Blendung traktieren, die Hoden pressen, auf ihre Köpfe urinieren, ihre Köpfe gegen den Betonboden schlagen und sie stundenlang in qualvollen Positionen gefesselt halten“. Viele Gefangene sterben – tatsächlich oder angeblich – durch Selbstmord. Die Lagerleitung weist Vorwürfe mangelnder Vorsorge mit dem Argument zurück, Selbstmörder würden „ihre Aktionen listig verbergen“. Obduktionen unterbleiben häufig. Wenn sie erfolgten, stellte sich nicht selten heraus, dass Teile des Rachens, des Kehlkopfes und der Luftröhre (jener Organe, deren Prüfung bei Erhängen am wichtigsten ist) fehlen oder dass injektionsverdächtige Flecken konkret auf Mordverdacht durch das Lagerpersonal hinweisen. Schärfste internationale Kritik bezüglich der Rechtslage der Gefangenen (sie gelten als „ungesetzliche Kombattanten“), der Haftbedingungen, der verwendeten Verhör- und Foltermethoden und die Verstöße gegen die Menschenrechte verhallte bis heute ungehört und beeindruckte offenbar auch die Friedensnobelpreiskuratoren nicht. 

Außer dem Friedensnobelpreis gingen an Obama noch haufenweise andere Ehrungen, darunter akademische Würden von neun US-Universitäten. Das Time-Magazin kürte ihn 2008 und 2012 zur „Person des Jahres“. 2013 erhielt Obama als erster amtierender US-Präsident vom israelischen Staatspräsidenten und „Friedensnobelpreiskollegen“ Schimon Peres die höchste zivile Auszeichnung Israels, die Presidential Medal of Distinction. Peres begründete die Verleihung mit Obamas unermüdlichem Einsatz, Israel stark und Frieden möglich zu machen. In Anerkennung für Obamas Umweltpolitik wurde eine 2012 entdeckte Springbarschart „Etheostoma obama“ genannt. 

2012 – Waffen, Waffen, Waffen – und wieder ein Friedensnobelpreis

2012 erhielt auch die Europäische Union „für über sechs Jahrzehnte, die zur Entwicklung von Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in Europa beitrugen“, den Friedensnobelpreis. Entsetzt erklärten ehemalige Preisträger, die EU sei „eindeutig kein Vorkämpfer für den Frieden“ und die Entscheidung der Preisjury „verfälsche den Willen Alfred Nobels“. Knapp zwei Jahre später wurden die Kritiker stärker bestätigt denn je: Zunächst startete Deutschland im August – übrigens pannenbehaftet bis zur Lächerlichkeit – Hilfsflüge in den Irak. Bald danach fällte die Bundesregierung nach einem Treffen der EU-Außenminister den Beschluss, in den Kampf im Nordirak auch Waffen zu liefern. Nicht nur Frankreich als Mitgliedsland des Friedenstaubenschlages EU lässt die Rafale-Jets seiner Luftwaffe Bombenteppiche über die Krisenzone kippen, seit kurzem pumpt auch der deutsche Mitgliedsstaat der Friedensnobelpreis-EU modernste Panzerabwehrwaffen (MILAN-System, Panzerfaust 3 und Schwere Panzerfaust), sowie Sturm- und Maschinengewehre, Pistolen, Handgranaten und Munition in das Kriegsgebiet, aus dem umgekehrt eine immer mehr zum Tsunami anschwellende Flüchtlingswelle in die EU schwappt. Die Sorge von Kritikern, dass aus der EU gelieferte Waffen in falsche Hände geraten könnten – erste Beweise dafür ließen nicht lang auf sich warten – wurde ignoriert. Dabei hatten nebst vielen anderen auch deutsche Friedensforscher schon 2009 (und früher) angesichts umstrittener deutscher Waffenlieferungen an Israel und angesichts der deutschen Afghanistan-Politik („Deutschland wird am Hindukusch verteidigt“) immer wieder vor einer „Überschätzung des Militärs zur Beilegung von Konflikten“ gewarnt.

Anmerkungen

Der 1. Teil „Ehre, wem Ehre gebührt“ wurde am 1. Oktober 2014 im Genius-Brief veröffentlicht.

[1] Bis 2014 wurde der Friedensnobelpreis 127 Mal vergeben, davon gingen 87 Auszeichnungen an Männer, 16 an Frauen und 25 an Organisationen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) war bereits dreimal (1917, 1944 und 1963) und das Büro des Hohen UN-Kommissars für Flüchtlinge zweimal (1954 und 1981) Preisträger. Zu den Personen, denen der Preis versagt blieb, obwohl sie ihn in der öffentlichen Wahrnehmung verdient hätten, zählt der indische Pazifist Mahatma Gandhi. Den aktuellen Friedensnobelpreis erhielten am 10. Oktober 2014 die 17jährige Pakistanin Malala Yousafzai und der indische Bildungsrechtsaktivist Kailash Satyarti. Yousafzai hatte schon im Alter von elf Jahren auf der BBC-Webseite Gewalttaten der Taliban angeprangert und war vor zwei Jahren in ihrem Schulbus von einem Taliban angeschossen worden. Das Time-Magazin erklärte sie zur (nach Barack Obama) zweitwichtigsten Person des Jahres 2012. Die 500.000 Euro für ihre Hälfte des Nobelpreises machen sich im Vergleich zum 2,3-Millionen-Euro-Honorar, das ihr der österreichisch-jüdische Verleger Baron Weidenfeld für ihre Memoiren zahlt, geradezu mickrig aus. Der früher als Dozent in Bhopal wirkende indische Elektrotechniker Kailash Satyarthi bekämpft die Ausbeutung von Kindern und engagiert sich u. a. für die Organisation Goodweave International, die sich gegen Kinderarbeit beim Teppichknüpfen einsetzt. 

[2] Jagland seinerseits ist selbst Träger des Großen Goldenen Ehrenzeichens am Bande für Verdienste um die Republik Österreich, Kommandant der Ehrenlegion und Träger des Großkreuzes des St. Agatha-Ordens.

Bearbeitungsstand: Freitag, 28. November 2014

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