VdU – Wie aus einem Verein eine Partei wurde


Lothar Höbelt, Aufstieg und Fall des VdU – Briefe und Protokolle aus privaten Nachlässen, Böhlau Verlag Wien–Köln–Weimar 2015, 346 Seiten

 

Buchbesprechung von Gerulf Stix

Vom schnellen Leser oft überblättert, empfiehlt es sich hier, die Einleitung und auch den Prolog zur Vorgeschichte des VdU sorgfältig durchzulesen. Der Herausgeber des Buches, Universitätsprofessor Lothar Höbelt, Wien, knüpft darin einerseits an sein früheres Buch „Von der VIERTEN PARTEI zur DRITTEN KRAFT“[1] an und skizziert knapp das Typische am VdU. Andererseits schildert er die akribische Suche nach den durchwegs privaten Niederschriften, die nun den Hauptteil des vorliegenden Buches ausmachen. 

Wer nur eine staubtrockene Nachzeichnung originärer Quellen erwartet, wird auf angenehme Weise enttäuscht werden. Vor den Augen des Lesers wird ein buntes und spannungsgeladenes Bild dramatischer Ereignisse mit folgenreichen Auswirkungen auf die österreichische Innenpolitik aufgerollt. 

Deutlich wird auch, wie komplexe menschlich-persönliche Beziehungen, Sympathien wie Aversionen, zufälliges Kennenlernen und Netzwerke letztlich einen konkreten Niederschlag in der realen Politik finden. Für mich, der ich genau 30 Jahre später Karl Hartleb, dem ersten freiheitlichen Dritten Präsidenten des Nationalrates in der Zweiten Republik 1953, nach langem Interregnum wiederum in dieser Funktion nachfolgte, war besonders die Lektüre der breit wiedergegebenen Rolle des Salzburger Rechtsanwaltes Gustav Zeillinger berührend. Erlebte ich doch selbst den Klubkollegen Zeillinger während seiner letzten sechs Jahre im Parlament – insgesamt war er für den VdU und später die FPÖ 24 Jahre lang Abgeordneter zum Nationalrat – in seiner dynamischen, ebenso sachkundigen wie volkstümlichen Art im lebendigen Geschehen. Die vielen von Zeillinger hier wiedergegebenen Aufzeichnungen belegen eine erstaunliche Genauigkeit bei der Niederschrift der wichtigen Punkte aus vielen Besprechungen trotz der wohl gebotenen Knappheit. 

Eine zweite starke Emotion weckte in mir die Lektüre der zahlreichen Briefe Friedrich Peters. Ihn erlebte ich als Langzeit-Parteiobmann der FPÖ, Abgeordneten und späteren Klubobmann politisch hautnah. Das vorliegende Buch arbeitet sehr deutlich die Rolle Friedrich Peters wie überhaupt der Landesgruppe Oberösterreich in den turbulenten Vorgängen heraus, die den Zerfall des VdU und den Übergang zur 1956 gegründeten Nachfolgepartei FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) unter deren erstem Obmann Anton Reinthaller mit sich brachten. Wie sehr es damals rund ging, mag ein Zitat aus einem Brief Peters an Reinthaller vom 7. Februar 1955 zeigen: „ ... Es würde mich reizen, fingerspitzenlosen und traditionsverleugnenden Ignoranten und Kraus-Handlangern eins auf den Schädel zu schlagen.“ Gemeint war damit ein in OÖ erschienener Artikel des VdU-Vizebürgermeisters von Eferding, des Ziegeleibesitzers Karl Leitl, gegen Reinthaller. Doch an und für sich wurde Leitl von Peter geschätzt. Dieses blumige Zitat belegt im Übrigen auch, wie richtig die spätere allgemeine Aussage zu Peter als Redner war: Er spreche druckreif. 

In diesen wirren Jahren vom Übergang des zerfallenden VdU zur später sich konsolidierenden FPÖ tauchen in den privaten Aufzeichnungen viele jener Namen auf, die jedem späteren FPÖ-Politiker geläufig oder zumindest bekannt sind: Von van Tongel bis Gredler, von Kandutsch bis Leitner oder Scheuch. Für Tirol stehen Namen von Politikern wie Otto Gamper, Egon Denz und Klaus Mahnert sowie von Unterstützern wie Daniel und Alfred Swarovski. Das sind nur wenige Beispiele aus einer Fülle von Persönlichkeiten. 

Ohne Parteien gibt es keine Freiheit

Der 1949 von Herbert Kraus gegründete VdU verstand sich gar nicht als Partei. Bei Wahlen trat er demgemäß als „Wahlverband“ (WdU) auf. In seinen Reihen war die Kritik an den „alten Parteien“ gang und gäbe. Die von Friedrich Peter formulierte Denkweise: „Wir müssen zu was ganz Neuem kommen“ (Seite 250), war dafür bezeichnend. Aber wie die weitere Entwicklung zeigte, ist es das Schicksal jeder politischen Kraft, eines Tages zu einer aktiven „Partei“ zu werden, also zu einem „Teil“ des politischen Ganzen, oder von der Bildfläche zu verschwinden. Diese Gesetzmäßigkeit des Kräftespiels in auch nur einigermaßen demokratischen Systemen kann durch keine noch so moralisierende Ideologie abgeschafft werden. Das sollten auch all jene erkennen, die heutzutage über das „unsägliche Parteiensystem“ lästern und von einer utopischen parteienlosen Zukunft der Politik träumen. Der einzige Weg, um sich an der buchstäblichen Sisyphusarbeit zu beteiligen, die Dinge in der Politik durch persönliche Tätigkeit in ihr zum Besseren zu bringen, besteht leider nur darin, sich in einer Partei zu engagieren – oder selbst eine zu gründen. So oder so, ohne Parteien geht es nicht. Die parteienlose Alternative wäre eine absolute Diktatur – das Grab jeglicher Freiheit. 

Im so genannten Dritten Lager in Österreich – der Begriff der drei „Lager“ stammt von Univ.-Prof. Adam Wandruszka – ging es zu allen Zeiten turbulent zu und es kam zu den unterschiedlichsten Parteibildungen. U. a. zeichnet Dieter Grillmayer die Geschichte der Dritten Kraft in Österreich in seinem Buch „National und Liberal“ nach.[2]

Das vorliegende Buch „Aufstieg und Fall des VdU“ enthält neben einem umfangreichen Literaturverzeichnis ein Register mit rund 350 Namen. Dem Insider fällt dabei auf, dass sich darunter nicht wenige Stammbäume über mehrere Generationen bis hinein in unsere Gegenwart erstrecken. Auch dieser Umstand belegt die augenscheinlich strukturelle Kontinuität des oftmals schon totgesagten Dritten Lagers. Es ist vielgestaltig und nach wie vor höchst lebendig, wenngleich immer wieder im Wandel begriffen. Insofern gesehen ist Geschichte in Wirklichkeit niemals tot. Wir haben es mit einem dynamischen Prozess zu tun, in dem wir Lebenden eine kurze Zeit mitstrudeln. Wohin er sich in Zukunft weiter entwickeln wird, bleibt offen. Scheinbar tote Geschichte aber wird durch Bücher wie dieses von Lothar Höbelt auf einmal wieder sehr lebendig. 

Anmerkungen

[1] Lothar Höbelt, Von der VIERTEN PARTEI zur DRITTEN KRAFT – Die Geschichte des VdU, Leopold Stocker-Verlag, Graz–Stuttgart 1999, 303 Seiten

[2] Dieter Grillmayer, National und Liberal, Edition Genius, Wien 2006, 432 Seiten

Bearbeitungsstand: Montag, 1. Juni 2015

Mit Unterstützung von:

Verweis in neuem Fenster öffnen

 
Impressum, EMail: verein@genius.co.at
Wiedergabe von Genius-Lesestücken nur mit Zustimmung des Herausgebers