„Njuspiek“ oder „Des Kaisers neuer Ischias“


Die neue Sprachchiffrierung verharmlost, beschönt, deutet um

 
Von Wilhelm Lahres

Viele haben sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass die deutsche Sprache mehr und mehr von Anglizismen (Shopping, Sightseeing, Meeting etc.) angefressen wird. Dieser Sprachkrebs betrifft alle Bereiche des Lebens und dringt auch immer weiter im öffentlichen Raum vor (Exit, Meeting, News etc.).

Parallel dazu entwickelt sich – in den deutschsprachigen Ländern jedenfalls – eine noch stärker werdende Sprachchiffrierung, durch die Tatsachen des Alltagslebens verharmlost, beschönt, umgedeutet oder verkleistert werden.

Beispielsweise sind in den letzten Jahren Steuern, Tarife und Abgaben nie mehr erhöht, sondern nur angepasst oder harmonisiert worden. Mitarbeiter werden seit Menschengedenken nicht mehr entlassen, sondern freigestellt, was zwar freundlich klingt, aber für die Betroffenen wohl keinen Unterschied ausmachen wird.

Neuerdings werden von manchen Medien sogar Köpfe abhackende Glaubenskrieger gerne als Aktivisten bezeichnet, wahrscheinlich um die Leser und Seher nicht in Furcht und Unruhe zu versetzen. Gott behüte, dass in diesen der Verdacht aufkäme, Gleiches könnte demnächst auch hierzulande passieren. Dass dies prompt in einem kultibunten Wiener Gemeindebau schon praktiziert worden ist, stört die Sprachbetrüger freilich durchaus nicht. 

Besonders folgenreiche Verkleisterungen werden im Bereich der Strafrechtspolitik praktiziert.

Nach den Aktionen „Helfen statt Strafen“, „Schwitzen statt Sitzen“, „Therapie statt Strafe“ und „Mehr Sicherheit durch weniger Haft“, die allesamt als Spiegelfechterei zur progressiven Entkriminalisierung im Bereich der Schwerkriminalität vorgeführt worden sind, haben findige Wortschöpfer die Suchtgiftkriminalität entdeckt. Hier hat man Suchtgifte kurzerhand zu Drogen umetikettiert und damit bei den noch unreifen Jugendlichen den Eindruck erweckt, es handle sich bloß um Stoffe, die so harmlos sind wie Globuli, Bachblüten oder Hustentees.

Tatsächlich ist in Österreich der Drogenverkauf nicht nur gestattet, sondern auch rechtlich geregelt (§ 104 GewO). Die betreffenden Kaufleute haben eine Gewerbeberechtigung und treiben als Drogisten in ihren Drogerien „Drogenhandel“. Vermuteter Zweck dieser von den Medien und der Politik eifrig betriebenen Verkleisterung ist die Verharmlosung einer die Jugend und die Gesellschaft zerstörenden Kriminalitätsform. 

Heute kennen nur noch Ältere das Märchen von Hans Christian Andersen „Des Kaisers neue Kleider“, in dem einzig und allein ein kleines Kind die Nacktheit des Kaisers erkennt und anspricht. Alle seine Hofschranzen und Ministerialen bewundern die angeblich so herrliche neue Garderobe.

Ähnliches hat sich erst kürzlich bei einem Treffen allerhöchster Potentaten und ihres Gefolges in Brüssel wiederholt. Was für alle offensichtlich ist, wird flugs zur Krankheit deklariert und alle haben dies gefälligst auch bedingungslos zu glauben. Das kleine Kind hingegen wird, wie im Märchen, sofort gerügt und in die Schäm-dich-Ecke gestellt. 

War bei den echten „Murxisten“ des so genannten Wissenschaftlichen Sozialismus noch die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel für den Herrschaftserhalt der „besitzenden Klasse“ maßgeblich, so ist es heute, beispielsweise bei den salonkommunistischen Epigonen der Frankfurter Schule, die durch Sprachbesitz erkämpfte Deutungshoheit. Kurz gesagt: Wer die Sprache definiert, beherrscht und steuert die weitgehend ahnungslose und entwaffnete Gesellschaft. 

Den Vogel punkto Tarnen und Täuschen haben freilich Wortmanipulanten im Regie-Theater-Dickicht abgeschossen. Wenn ein „progressiver“ Regisseur, bar jeden schöpferischen Talents (© Daniel Kehlmann), eine klassische Oper, Operette oder ein Schauspiel in die Finger bekommt, muss er das Stück sofort dem angeblichen Zeitgeschmack anpassen. Verpasst er dann den Schauspielern Straßenkleidung statt historischer Kostüme und lässt er auch gerne einmal einen Nackten über die Bühne laufen, so spricht man nicht von Verhunzen und Verschandeln, sondern von Entstauben und Modernisieren.

Klingt doch gleich viel cooler! 

Bearbeitungsstand: Freitag, 28. September 2018

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