Von Gerulf Stix
Entwicklungen, die sich über lange Zeiträume erstrecken, lassen sich nicht auf einen Zeitpunkt fixieren. Hinsichtlich der Wirtschaftsentwicklung freilich wurde in den letzten Jahrzehnten jener kritische Punkt überschritten, ab dem man sagen muss: Wir stehen vor etwas Neuem. Dieses Neue ist die faktische Auflösung der Volkswirtschaften.
Wir befinden uns inmitten eines Prozesses, der das Ende der klassischen Volkswirtschaft bringt. Das feststellen zu müssen, fällt gerade mir besonders schwer; war ich doch sehr stolz, als mir vor rund 60 Jahren die Universität bescheinigte, dass ich nunmehr „Diplom-Volkswirt“ sei. Das darauf folgende „Doktorat der Wirtschaftswissenschaften“ entsprach allein schon vom Namen her weit besser der heutigen Entwicklung. Abgesehen von dieser sehr persönlichen Reminiszenz, werden sich auch viele Fachleute mit scheinbar gewichtigen Argumenten gegen die These wenden, dass die herkömmliche „Nationalökonomie“, soweit sie einzelne Länder betrifft, an ihr bevorstehendes Ende gelangt sei. Es ist aber so. Das wird hier zu untermauern sein. So fachspezifisch das Thema auch klingt, es ist ein zutiefst politisches.
Bevor einige der wichtigsten Argumente dafür und dagegen ausgebreitet werden, soll ein mögliches Missverständnis ausgeräumt werden. Das Missverständnis könnte die Meinung sein, dass die Volkswirtschaften in einer Weltwirtschaft aufgehen. Tatsächlich operieren viele Unternehmen weltweit und orientieren sich am Weltmarkt oder arbeiten auf verschiedenen Teilmärkten global. Aber es gibt trotz vieler unternehmerischer Verflechtungen und Auffächerungen keine einheitliche Weltwirtschaft. Diese bleibt aufgesplittert und heterogen. Trotz dieser realen Beurteilung muss zugegeben werden, dass das beschreibende Wort „Weltwirtschaft“ seit Langem verwendet wird. Meistens wurden unter diesem Sammelbegriff dann eben die verschiedenen Volkswirtschaften und deren teilweises Zusammenwirken „im Welthandel“ beschrieben. Tatsächlich handeln in erster Linie die Firmen unmittelbar global, obwohl sie einen nationalstaatlichen Standort besitzen.
Dem US-Präsidenten Trump wird gerade jetzt vorgeworfen, dass er mit seinem America First, mit seinen politisch bedingten Sanktionen, die als machtpolitische Strafmaßnahmen beurteilt werden müssen,[1] und mit seiner so genannten Anti-Freihandelspolitik die „Entwicklung zur Weltwirtschaft“ behindere. Bei dieser Kritik wird aber oft übersehen, dass Präsident Trump gerade mit seiner Wirtschaftspolitik vielfach US-amerikanischen Firmen dabei hilft, ihre weltweiten Unternehmensinteressen wahrzunehmen. So will z. B. der offiziell nur politisch motivierte US-amerikanische Kampf gegen die Gaspipeline Nordstream II wirtschaftspolitisch die amerikanischen Lieferungen von Flüssiggas nach Europa beflügeln. Mit einer Fokussierung auf Unternehmensinteressen kommen wir jedenfalls der Sache, um die es bei der hier zur Debatte stehenden Entwicklung geht, deutlich näher.
Ein weiteres gewichtiges Argument für das scheinbar unerschütterte Bestehen von Nationalökonomien bieten die amtlichen Statistiken. Sie errechnen für jedes Land dessen jeweiliges Bruttosozialprodukt (BIP), seinen Anteil am Welthandel sowie ungezählte andere Wirtschaftsdaten. Namen wie Statistik Austria, Statistisches Bundesamt (D) oder Eurostat für die Europäische Kommission stehen für viele andere. Die statistischen Berechnungen erfolgen zweifellos nach bestem Stand der Wissenschaft. Die ausgewiesenen Ergebnisse ergeben ein halbwegs richtiges Bild der Lage in den einzelnen Ländern, besonders für Vergleiche. Und dennoch wird etwas vorgetäuscht, was es so in Wirklichkeit nicht gibt! Beim Betrachter der Statistiken entsteht nämlich zwangsläufig der Eindruck, dass er es mit selbstbestimmenden Nationalökonomien zu tun habe. Genau das ist real besehen vielfach nicht mehr der Fall. Ein Beispiel gefällig?
Der Anteil der Tourismuswirtschaft am österreichischen BIP beträgt rund 16 Prozent.
So weit, so richtig. Aber dieser Anteil am BIP hängt vom Wetter im Sommer wie im Winter sowie u. a. davon ab, wie viele Menschen aus aller Welt, insbesondere aus Deutschland, nach Österreich kommen, um z. B. ihren Urlaub oder Tagungen hier zu verbringen. Hängt das autonom von Österreich ab oder vielleicht vom Wetter bzw. Klimawandel? Oder von den wechselnden Verhältnissen in den Quellländern (Deutschland, Russland, Asien)? Oder spielt der Verkehr eine Rolle? Vielleicht ein von Vulkanausbrüchen oder Drohnen behinderter Flugverkehr? Wie auch immer, der Tourismuserfolg Österreichs beruht auch auf vielen Ursachen, die außerhalb Österreichs liegen. Das verschleiert die „nationale“ Statistik – wie so vieles andere ebenfalls.
Beim nicht enden wollenden Nahostkonflikt geht es vordergründig um Machtkämpfe zwischen Staaten, Völkern und Religionen. Im Hintergrund toben aber die weit weniger belichteten Interessenskonflikte wirtschaftlicher Art. Früh schon rangen „die sieben Schwestern“[2] um ihre Öl-Interessen in Nahost. Die Machtstellung des erzkonservativen Saudi-Arabien ist nur durch dessen Ölreichtum zu verstehen. Pipelines für Öl und Gas durchziehen den gesamten Orient. Und spielt etwa nicht die mögliche Verlegung einer Gas-Pipeline durch das Schwarze Meer eine Rolle in den Beziehungen zwischen Erdogân und Putin? Oder haben die neu entdeckten Erdgasfelder vor der Küste Israels, Libanons, Syriens und Zyperns vielleicht doch etwas mit der Nahost-Politik zu tun? Die Antworten liegen auf der Hand.
Tatsächlich sind es oft weniger die Staaten, sondern gigantische Konzerne, die ihre Wirtschaftsinteressen auch mit Hilfe staatlicher Politik verfechten. Durchaus berechtigt stellt sich deshalb häufig die Frage, wer da wen instrumentalisiert? Die wechselnden Verflechtungen und Beeinflussungen bleiben meist undurchsichtig, sind aber real wirksam. Da Staatssysteme, Regierungen und auch Staatsgrenzen sich mitunter häufiger ändern als die Strukturen großer Konzerne, kann man davon ausgehen, dass insbesondere die im Energiebereich tätigen internationalen Großfirmen ihre globalen Wirtschaftsinteressen mindestens ebenso nachhaltig betreiben wie die Staaten ihre politischen Interessen. Diese Firmen denken dabei nicht volkswirtschaftlich und auch nicht weltwirtschaftlich, sondern sind auf die dauerhafte Maximierung ihres betriebswirtschaftlichen Erfolgs ausgerichtet.
Diese nach der betriebswirtschaftlichen Bilanz (und den Börsenkursen) ausgerichtete Orientierung kennzeichnet auch die Weltfirmen aller anderen Branchen. Das macht den Unterschied zwischen weltweiter Wirtschaftstätigkeit vieler einzelner Firmen und der Weltwirtschaft an und für sich aus. Beispielsweise sei an die Fernauslagerung ganzer Abteilungen, etwa der Buchhaltung nach Indien, erinnert.
Geradezu spektakulär nimmt sich der gegenwärtige Kampf um das Internet aus. Die Verhaftung der Finanzchefin von Huawei im Dezember (später dann freigelassen) ist nur ein Mosaikstein im Machtkampf zwischen den USA und China um die Beherrschung der Internet-Kabelwelt. Andererseits stellt die Swisscom, wie die NZZ vom 8. Dezember 2018 berichtet, ihre„enge Partnerschaft mit dem chinesischen Tech-Konzern nicht infrage“. Wie schier unfassbar weltumspannend die Riesenfirmen des Internet agieren, zeigen bekannte Namen wie Facebook, Google, Apple – jüngst von den Börsen kalt auf dem falschen Fuß erwischt – oder Amazon. Und wie machtlos dagegen die Nationalstaaten sind, verdeutlicht der uferlose Streit um die Einführung einer wirksamen Besteuerung der Milliarden-Umsätze dieser Giganten z. B. in der EU, worüber bekanntlich nach einem Brexit „nur mehr“ deren dann 27 Mitgliedsstaaten gemeinsam beschließen müssten.
Weit gefehlt wäre es, wollte man das Internet nur mit einigen Riesenfirmen in Verbindung bringen. Abgesehen einmal von den ebenfalls großen Erzeugern von Mobil-Telefonen sind auch bekannte Netzbetreiber längst der Nationalstaatlichkeit entglitten.
Beispielsweise gehört die österreichische Telekom (A1) seit Längerem einer mexikanischen Firma. Die auch in Österreich operierende T-mobile, eine „deutsche“ Firma, gehört seit Kurzem einem skandinavischen Investor. Das sind nur wenige Beispiele aus einer Branche, in der das Spiel „Bäumchen-wechsle-dich“ fast schneller vonstatten geht, als die seriöse Berichterstattung zu folgen vermag.
Tatsächlich haben Internet und Mobil-Telefonie die Wirtschaftstätigkeit (wie den privaten Alltag ganz allgemein) auf eine völlig neue Grundlage gestellt. Das wirklich Neue ist die weltweite Kommunikation praktisch in Echtzeit. Dass dabei auch die Satelliten in ihrer Umlaufbahn um die Erde eine wichtige Rolle spielen, weiß jeder Autofahrer, der ein Navi besitzt. Doch um keinen Irrtum aufkommen zu lassen, sei festgehalten, dass das Internet auf Zehntausenden von Kilometern auf am Land und im Meer verlegten Kabeln beruht.
Der nun möglichen Kommunikation in Echtzeit sowie der damit verbundenen blitzartigen Übermittlung riesiger Daten-Mengen haben sich längst keineswegs nur Großfirmen verschrieben. Auch alle irgendwie exportierenden Mittel- und Kleinfirmen (KMU machen davon Gebrauch. Gleichgültig ob es sich um Erzeuger von Ware handelt oder um Dienstleister! In Deutschland hängt z. B. jeder dritte Arbeitsplatz von Exporten in außerhalb der EU (!) gelegene Länder ab.
Alle Firmen sprengen tagtäglich die Grenzen jenes Staates, in welchem sie ihren Firmenstandort haben, um in Echtzeit ihre unternehmerischen Aktionen auf den über die Welt verstreuten Märkten ihres jeweiligen Firmeninteresses zu setzen. Das hat es in dieser Form noch vor zwei, drei Jahrzehnten nicht gegeben! Zwar wird ein marginaler Fernhandel immerhin seit ca. 5.000 Jahren bekundet, aber globale Echtzeit-Kommunikation gibt es erst seit Kurzem. Und die Entwicklung geht weiter – in Richtung Künstlicher Intelligenz (KI).
In den Schlagzeilen stehen gegenwärtig Berichte über den so genannten Diesel-Skandal und da vor allem über den VW-Konzern. Abgesehen von dem durchaus kontroversiell zu diskutierenden Hauptthema, blieb in den Tagesmedien der Canossagang aller drei Konzernmanager der deutschen Automobilindustrie nach Washington eher unterbelichtet. Herbert Diess (VW), Dieter Zetschke (Daimler-Benz) und Thomas Becker (BMW) monierten, dass sie alle ja große Produktionsstätten und Zulieferer in den USA besäßen und diese mit Milliarden-Investitionen sogar ausbauen wollen. Der Ausgang dieser Mission ist ungewiss. Die gesamte europäische Autoindustrie besitzt über die ganze Welt verteilte Produktionsstätten oder anders benannte Tochterfirmen. Auch Zusammenarbeit und Arbeitsteilung sind üblich, wie z. B. Renault und Nissan vorführen.
Aber nicht bloß der Straßenverkehr ist für globale Firmenaktivitäten bekannt. Ähnliches gilt für die Eisenbahnen, Straßenbahnen, Seilbahnen und für die Schifffahrt auf Binnengewässern und auf dem Meer. Der Luftverkehr beschäftigt laufend die Wirtschaftsberichterstattung. „Niki nationale“ ist sowieso fast jedem Österreicher ein Begriff. Und die Troubles der Airlines füllen die Zeitungsseiten. Aber haben Sie beispielsweise gewusst, dass der französische Baukonzern Vinci mit seinen über 190.000 Mitarbeitern in fast 100 Ländern an ungefähr 50 Flughäfen in Europa, Asien, Südamerika, Mittelamerika und den USA beteiligt ist? Außerdem hat Vinci weitere Akquisitionen bzw. Übernahmen im Visier. Das alles sind lediglich einige Beispiele.
Wer vielleicht glaubt, dass in Österreichs Wirtschaft die Uhren anders ticken, der irrt. Hier seien bloß drei Exempel aus verschiedenen Branchen und in unterschiedlichen Größenordnungen angeführt.
Die Voestalpine mit ihrem Hauptstandort in Linz ist nach dem Anschluss 1938 als Rüstungsbetrieb des Deutschen Reiches entstanden. Nach wechselvoller Geschichte bis hin zur Verstaatlichung in der Zweiten Republik Österreich beschäftigt der breit aufgestellte Konzern heute über 50.000 Mitarbeiter in aller Welt, davon nur knapp die Hälfte in Österreich! Seine Produktionsstätten und Niederlassungen (auch von Tochtergesellschaften) befinden sich in ca. 60 Ländern, darunter selbstverständlich in den USA und in China. Dieser „österreichische Paradebetrieb“ arbeitet, expandiert und plant also global. Anders ginge das gar nicht.
In Tirol sind die Jenbacher Werke ein Begriff. Gleichfalls ein Rüstungsbetrieb während des Zweiten Weltkrieges, weist auch diese Firma eine äußerst wechselvolle Geschichte auf, die schon im 15. Jahrhundert mit Fugger beginnt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Werke in den Mehrheitsbesitz einer österreichischen Großbank (die es nicht mehr gibt), wurden später an General Electric verkauft und gehören heute unter der Bezeichnung INNIO einem internationalen Hedge-Fonds. Die Jenbacher Werke mit ihren rund 3.000 Mitarbeitern – davon nur ca. die Hälfte in Österreich – sind bekannt durch ihre technisch hochentwickelten Gasmotoren und Blockheizkraftwerke.
Aber auch Familienbetriebe wie die Ortner-Gruppe mit ihrem internationalen Wachstumskurs „blühen im Verborgenen“, wie „Die Presse“ am 29. Dezember 2018 schrieb. Am Vortag berichtete sie über die in Oberösterreich angesiedelte Vorzeigefirma Miba AG, die im Familienbesitz steht. Die Miba AG beschäftigt weltweit über 7.000 Mitarbeiter, von denen nur rund 2.500 in Österreich arbeiten. Das Unternehmen hat 22 Standorte in 11 Ländern der Welt und leidet jetzt unter dem Handelskonflikt zwischen den USA und China.
Die Reihe markanter Beispiele von namhaften Firmen, die von Österreich aus in die ganze Welt expandieren, könnte beliebig fortgesetzt werden. Alle diese Unternehmen belegen eindrucksvoll die These, dass es die Unternehmen sind, die von einem nationalen Standort aus weit über dessen Grenzen hinausgreifen und sich dabei hauptsächlich nach „ihrem“ Weltmarkt orientieren. Die daraus resultierenden Auflösungserscheinungen für die „Volkswirtschaften“als autonome Gebilde können nicht mehr weggeleugnet werden.
Über die internationale Ausrichtung der Finanzwirtschaft und ihre Dominanz in der Politik schlechthin ist in den Genius-Lesestücken bereits derart viel geschrieben worden, dass hier die bloße Erwähnung genügt. Vielleicht sollte noch eine Zahl erwähnt werden, die wir der OECD verdanken: Der globale Gesamtumsatz der Finanzwirtschaft beträgt rund das Vierfache (!) der Summe sämtlicher Bruttosozialprodukte (BIP) aller Länder der Erde zusammen genommen. Nimmt es da wunder, dass die Finanzwirtschaft sich gegen ihre von Politikern aller Couleurs immer wieder versuchte stärkere Regulierung mit allen Mitteln sträubt? Die türkis-blaue Bundesregierung in Wien versucht das wenigstens mit einer bescheidenen Besteuerung digitaler Umsätze derzeit erneut, während die EU bislang gescheitert ist. Abgesehen davon wird es niemanden mehr erstaunen, dass die Tonangebenden in der Finanzwirtschaft seit langer Zeit stark genug sind, selbst in großen Staaten die Politik in dem von ihnen gewünschten Sinn zu beeinflussen. Meist geschieht dies lautlos und indirekt. Trotzdem gibt die Politik nicht auf, wie das Ringen um die so genannte Transaktionssteuer – eine Art von publizistischem Dauerbrenner – zeigt.
Im europäischen Maßstab genießt die Schweiz beim Private Banking Weltruf (NZZ vom 8. Dezember 2018). Das allein in der Schweiz ansässige Investment-Management umfasst rund € 3.000.000.000.000 (in Worten: 3.000 Milliarden Euro).
Da nimmt sich der Tiroler Immobilien-Investor René Benko als österreichische Lokalgröße international ziemlich klein aus. Dennoch schaffte er es mit seiner Signa-Gruppe und mit kanadischer Hilfe, Karstadt und Kaufhof zu fusionieren. Über verschiedene Schachtelbeteiligungen gehören Benko weiters nunmehr fast je 25 % an den österreichischen Tageszeitungen Kurier und Kronen Zeitung. Wer denkt da nicht an das berühmte Zitat von Friedrich Hebbel, welches irrtümlich Grillparzer und anderen zugeschrieben wird: „Österreich als kleine Welt, in der die große ihre Probe hält.“
Den nationalen Volkswirtschaften, sprich: den Staaten, bleiben nur mehr wenige Instrumente, um wenigstens den Firmensitz namhafter Unternehmen an sich zu ziehen oder zumindest zu halten. An erster Stelle aller Anziehungskräfte sind ein ausgebauter Rechtsstaat, der Sicherheit gewährleistet, sowie eine effizient funktionierende Verwaltung zu nennen. Stabile politische Strukturen können entscheidend sein. Dieser Umstand spricht für gute Politik und eine überzeugende Selbstbehauptung. Wir sollten uns das merken.
Gleich danach – oft sogar vorrangig – sind günstige Steuern gefragt. Da wird die so genannte Standortpolitik allerdings fragwürdig. Besonders kritisch ist zu hinterfragen, wenn aus Gründen puren Standortwettbewerbs Großunternehmen steuerlich bevorzugt werden. Wenn man sich in die Einzelheiten vertieft, gewinnen solche Fragen Gewicht.
Österreich gilt als Hochsteuerland. Das will die amtierende Bundesregierung Kurz-Strache aber jetzt ändern. Für einen wirksamen Standortwettbewerb wäre das ebenso gut wie für die österreichischen Steuerzahler.
So oder so bleibt eine ausgewogene Steuerpolitik jedenfalls eine Gratwanderung. Doch muss gleichsam als Richtschnur festgehalten werden, dass Rechtsstaat, effiziente Verwaltung und Steuerpolitik mit Augenmaß insgesamt für einen schlanken Staat sprechen. Ein schlanker Staat nützt auch den Einheimischen. Im Allgemeinen sind Verstaatlichung und totaler Sozialismus dafür keine tauglichen Rezepte.
Besonders kritisch stellt sich das häufige Verlangen nach „billigen Arbeitskräften“ dar. Vor wenigen Jahren noch galt China besonders in Europa als Eldorado für niedrige Löhne, die unbedingt ausgenützt werden sollten. Doch viele Firmen, die ihre Produktion deshalb nach China verlagerten, haben sich dabei die Finger verbrannt. Die Chinesen haben lächelnd geschuftet – und sich stillschweigend das Knowhow angeeignet. Die solchermaßen enttäuschten Unternehmensführer können anhand dieses Debakels hoffentlich den Unterschied zwischen kurzfristigem und langfristigem Denken auch praktisch erkennen.
Für uns ist die Frage der Zuwanderung hochaktuell. Massenzuwanderung billiger Arbeitskräfte, meist ungelernt, und die damit oft einhergehende Klage über einen Fachkräftemangel sind wohl die nächste Falle für kurzsichtiges Denken, die in Europa aufgebaut wird. Mit absoluter Gewissheit muss auf diese Schalmeientöne geantwortet werden: So geht das nicht! Aber das ist ein eigenes Kapitel. Hier soll nur so viel dazu gesagt werden, dass die Erhaltung und Entwicklung der eigenen Art nicht nur allgemeine Bedeutung haben, sondern tatsächlich auch die nachhaltige Grundlage für gesundes Wirtschaften sind.
Der heutzutage übliche Fimmel nach dem Motto: „Wachstum, Wachstum über alles“, führt nicht nur in eine ökologische Sackgasse. Wachstum „um jeden Preis“ ist auch kein nachhaltiges Ziel für eine stabile Ökonomie. Sowohl die Menschheitsgeschichte als auch das heute vorhandene Wissen über die Naturgesetze lehren unmissverständlich, dass es kein ewiges Wachstum gibt – letztlich nur die Erschöpfung nicht erneuerbarer Ressourcen. Die alte Volksweisheit, wonach „Bäume nicht in den Himmel wachsen“, behält auch in modernen Zeiten ihre Gültigkeit. Wer das nicht glauben will, gehört offenbar zu den unverbesserlichen Utopisten aller Schattierungen. Begrenztes und somit gesundes Wachstum in nur scheinbar grenzenlose Weiten setzt voraus, dass die eigenen Wurzeln nicht verdorren. Sie müssen stark bleiben und gehegt werden. Dies bleibt eine nationale Daueraufgabe.
[1] Hans Köchler, Wirtschaftssanktionen sind Mittel der Machtpolitik, Genius-Brief Juli–August 2018.
[2] Hans Kronberger, Blut für Öl – Der Kampf um die Ressourcen, Uranus Verlag, Wien 2011, 157 Seiten.